Vergangenheit und Gegenwart prallen aufeinander! Mit »Ajax« von Thomas Freyer inszeniert Gustav Rueb im DT eine antike Tragödie, die die Grenzen zwischen Raum durchbricht. Die Bühne des Deutschen Theaters wird dabei zum Schlachtfeld des trojanischen Krieges! Dieser blutige und jahrelang andauernde Stellungskrieg um Troja bringt Ajax, den sagenumwobenen Feldherrn der Griechen, allmählich um den Verstand. Währenddessen bricht im heutigen Europa ein Krieg aus und lässt einen liebenden Familienvater zu einem fanatischen Prepper werden. Sowohl in der griechischen Antike als auch in der Gegenwart leiden Ehefrau und Sohn an den Folgen. »Ajax« feierte am 5. April Premiere im Deutschen Theater.
Cast und Crew kreieren ein kleines Epos auf der DT-Bühne. Dies wird schon beim “Opening” deutlich: In den seitlichen Tribünen sehen wir Gestalten, die glatt aus Wagners »Ring des Nibelungen« stammen könnten. Sie beginnen einen gespenstischen Sprechgesang vorzutragen und streichen dabei einen Geigenbogen an einer Metallwaage, um unheilvolle Klänge zu erzeugen. Und schließlich starren uns die Augen von Ajax’ Geist (Charlotte Wollrad) unheimlich an, denn die starrenden Augen werden groß auf die Leinwand projiziert bis der Titel »Ajax« wie bei einem Spielfilm erscheint. Ein richtig gelungenes Intro.
Das Bühnenbild von Daniel Roskamp baut langsam, aber sehr effektvoll die Spannung bis zum Klimax auf: Zunächst ist die vermeintliche Idylle zu sehen, das schöne grüne Familienhaus. Allmählich wird im Laufe des Stücks gezeigt, was unter dem Familienhaus vor sich geht. Unterirdisch werden die Vorräte vom manischen Prepper-Vater gehortet. Und beim Klimax sehen wir das feurige und blutige Schlachtfeld in Troja samt trojanischem Pferd.
Hauptdarsteller Bastian Dulisch geht in seiner Doppelrolle als “Vater/ Ajax” richtig auf. Denn man erlebt wirklich seinen Wandel vom liebenden Familienvater zum verrückten Prepper und Verschwörungstheoretiker. Er wird immer paranoider wegen des anbrechenden Krieges und baut schreiend einen kleinen Bunker auf der Bühne auf. Der Vater denkt sich in die antike Kriegswelt hinein und pendelt zwischen der alten und neuen Welt. In einer Szene wechselt Dulisch von Satz zu Satz zwischen der Vater- und Ajax-Figur. Dieser Wechsel ist anfangs vielleicht etwas verwirrend, zeigt aber sehr eindrucksvoll, wie der Vater sich selbst in den Wahnsinn treibt.
Das schöne Familienhaus wird zu einer Festung und die Mutter (Judith Strößenreuter) und der Sohn (Paul Trempnau) leiden stark darunter. Der Vater spiegelt die Angst vorm Krieg wider und zeigt, wie unterschiedlich und radikal Menschen darauf reagieren. Der Vater verzieht sich in seinem Schutzraum und wird folglich selbst zum Bunker, denn er lässt seine Familie nicht mehr an sich heran. Dem Sohn wird dies zu viel, er verliert sich in Drogen und übergibt sich sogar auf der Bühne! Auch Ajax’ Sohn Eurysakes (Lou von Gündell) leidet unter den Taten seines Vaters.
Die Parallelen beider Handlungsstränge verschmelzen miteinander in vielen Szenen. Bastian Dulisch als Vater/ Ajax diskutiert gleichzeitig mit der Mutter (Judith Strößenreuter) und Ajax’ Frau Tekmessa (Marina Lara Poltmann). Beide Frauen versuchen gegen die toxische Männlichkeit ihrer Gatten anzukämpfen. Diese Szenen zeigen, dass sich Geschichte oft wiederholt und sich das Wesen des Menschen nicht viel ändert. Auch der “Gegenwarts-Sohn” (Paul Trempnau) führt im Drogenrausch einen Dialog mit Eurysakes (Lou von Gündell), dem Sohn von Ajax, und beide erkennen, wie sehr sie sich für ihre Väter schämen. Die Brücke wird optisch geschlagen durch gelungenen und kontrastierenden Kostüme (Familie in Jogginganzügen und antike Figuren in goldenen Rüstungen).
Im letzten Akt kommt richtiges Epos- und Opern-Feeling im Sinne von »Ring des Nibelungen« auf, als Ajax dem Wahnsinn verfällt und sich das Leben nimmt. Im Blutrausch schlachtet Dulisch als Ajax Odysseus’ Schafherde ab und hängt sich rote Seile um den Hals. Natürlich sollen die Seile die Gedärme der Schafe darstellen. Sehr schockierend!
Und als er sich aus Scham in sein leuchtendes Schwert stürzt, kommt Charlotte Wollrad als Geist herbei, singt “The End” und wirkt mit ihrer glänzenden Rüstung wie eine wahre Walküre. Eine Szene die stark an dem »Ritt der Walküren« erinnert und die gefallenen Krieger nach Walhalla gebracht werden.
Ein etwas ungewohntes, aber überzeugendes Crossover zwischen Troja und unserer Gegenwart. Dank den opernhaften Bildern und dem authentischen Schauspiel konnte die Premiere von »Ajax« das Publikum oftmals ins Staunen versetzen!
Weitere Vorstellungen folgen am 11.,15., 25. und 28. April.