In ihrer Inszenierung von »Die Wildente« bringt Schirin Khodadadian am Deutschen Theater Simon Stones moderne Bearbeitung des Ibsen-Klassikers auf die Bühne. Die Geschichte entfaltet sich als intensives Familiendrama, das die zerstörerische Kraft von aufgedeckten Wahrheiten zeigt. »Die Wildente«, basierend auf Simon Stones Film- und Bühnenfassung »The Daughter«, frei nach Henrik Ibsens Schauspiel, feierte am 03. Oktober ihre deutsche Erstaufführung.
Im Zentrum steht die junge Hedwig (Lou von Gündell), dessen Welt ins Wanken gerät, als Gregers (Gabriel von Berlepsch), ein alter Freund der Familie, ein gut gehütetes Geheimnis aufdeckt. Was als moralisches Streben nach Wahrheit beginnt, löst eine Tragödie mit desaströsen Folgen aus.
Dramatische Darbietungen der Schauspieler:innen
Khodadadian inszeniert das Stück mit psychologischer Präzision und emotionaler Wucht. Denn die Darsteller:innen sprechen direkt, teils roh, wodurch die psychologische und emotionale Spannung noch verstärkt wird.
Gregers Werle kehrt in seine Heimat zurück, denn sein Vater (Florian Eppinger) heiratet erneut – und zwar eine 30 Jahre jüngere Frau. Zufällig begegnet er dabei seinem alten Freund Hjalmar Ekdal (Bastian Dulisch). Hjalmar ist mittlerweile verheiratet mit Gina (Rebecca Klingenberg) und beide haben eine Tochter namens Hedwig. Doch Greger weiß ein Geheimnis: Genau wie sein Vater leidet auch Hedwig an derselben Augenkrankheit. Ein Zufall? Wohl kaum! Unter all den Streitigkeiten und Verwirrungen leidet insbesondere Lou von Gündell als Hedwig, die hier eine sehr emotionale Performance ablieferte und das Publikum zu Tränen rührte.
Die Mauer der Geheimnisse bröckelt
Aber nicht nur das Schauspiel ist äußerst ergreifend, auch Bühne (Michael Lindner) und Musik (Johannes Mittl) sorgten für Drama pur. Laut und tosend ertönt Mozarts Requiem KV 626 in d-Moll “Dies Irae” (“Tag des Zorns”) zu aufblitzenden Lichtern und Kunstnebel! Das Bühnenbild von Michael Lindner visualisiert dabei das Hauptthema des Stücks: Die Masken fallen und die Mauer der Geheimnisse beginnt zu bröckeln! Denn die Darsteller:innen demontieren nach und nach die Kulisse, indem sie immer mehr Holzplanken entfernen.
Daneben wird Hedwig oftmals als transzendentes Wesen dargestellt. Oftmals werden surreal-wirkende Videoclips im Hintergrund gezeigt, in welchen Hedwig wie eine Nymphe durch den Wald streift. Auch ihr Jagdausflug mit ihrem Großvater (Gerd Zinck) sorgt für Gänsehaut und einen Riesenschreck! Vor der Waldkulisse sieht das Publikum das Jagdgewehr riesig projiziert, während Großvater Ekdal seiner Enkelin erklärt, wie man die Schrotflinte lädt und richtig anlegt. Und dann ertönt laut der Schuss und hallt durch den ganzen DT-Saal!
Künstlicher Regenschauer auf der Bühne!
Besonders der Epilog des Stücks ist ein besonderer Anblick. Ein paar Jahre später treffen sich Hjalmar und Gina an einem regnerischen Abend. Hierbei wurde auf der dt.1-Bühne künstlicher Regen erzeugt! Die Regenwand wird dazu noch von Scheinwerfern belichtet, was das Gesamtbild nach atemberaubender erscheinen lässt!
Schirin Khodadadian gelingt mit ihrer Inszenierung von »Die Wildente« eine intensive, emotional aufwühlende Adaption, die nicht nur durch starke schauspielerische Leistungen, sondern auch durch ein eindrucksvolles Bühnenbild und klug eingesetzte Musik überzeugt. Das Stück demonstriert eindrucksvoll, wie zerstörerisch aufgedeckte Wahrheiten wirken können – und stellt gleichzeitig die Frage, ob absolute Ehrlichkeit wirklich der Weg zu einem erfüllten Leben ist. Ein Abend, der lange nachhallt.