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Altes Rathaus

Zwischen Elektrizität und Erinnerung: Künstlerische Visionen des Niemandslands von Verdun

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Kunstverein Göttingen: TERRA DIASPORA Marjolijn Dijkman – »Between the Lines«
von Keanu Demuth, erschienen am 24. Oktober 2025

Der Brüsseler Künstlerin Marjolijn Dijkman macht in ihrer Einzelausstellung »Between the Lines« im Alten Rathaus auf die fortschreitende Transformation unseres Planeten aufmerksam. Neben ihrer naturwissenschaftlich basierten Arbeit mit Elektrizität widmet sie sich diesmal einem tragischen Kapitel unserer deutsch-französischen Geschichte: Die Schlacht von Verdun, ein Sinnbild des Grauens des Ersten Weltkriegs.

Die Soloausstellung »Between the Lines«, produziert vom Kunstverein Göttingen e. V., vereint Dijkmans intensive Recherche mit künstlerischer Gestaltung und thematisiert verschiedene reale Landschaften rund um den Globus – vom heutigen Erscheinungsbild des ehemaligen Schlachtfelds von Verdun über die Vorkommen Seltener Erden in der Demokratischen Republik Kongo bis zu den Gewässern Göttingens. Marjolijn Dijkman schafft es eindrucksvoll durch begehbare Rauminstallationen, Metallgüsse und Filmsequenzen die tiefgreifenden Veränderungen dieser Regionen erfahrbar zu machen und so exemplarisch auf die Umweltkrise aufmerksam zu machen.

Elektrizität und seltene Erden aus dem Kongo

Die Ausstellung beginnt mit dem Themengebiet “Boden und Elektrizität”. In der Skulpturenserie “Cloud to Ground” stellt Dijkman erneut Fulgurite aus, auch bekannt als „versteinerte Blitze“. Sie entstehen, wenn Elektrizität in den Boden entladen wird, und folglich Massen von verglasten organischen Rückständen zurückbleiben. In Zusammenarbeit mit einem Elektrotechniker erzeugte Dijkman künstliche Fulgurite, indem sie Elektrizität in seltene Erden aus Bergbaugebieten in Belgien und der Dem. Republik Kongo entlud. Hierbei will Dijkman auf die prekären Bergbauindustrien in der Dem. Republik Kongo aufmerksam machen.

Aber nicht nur “Cloud to Ground” ist ein einzigartiges, naturwissenschaftliches Schauspiel für die Augen. Der immersive Videoinstallation “Depth of Discharge” macht elektrische Blitze auf magische Weise für das Auge sichtbar. Mithilfe von leitfähigen, transparenten Glas-Touchscreens hält die Künstlerin natürliche und künstliche Elektroladungen fest, sogar elektrische Fingerabdrücke! Und in dem Loop-Video “Charging Tesla Crash, a Speculation” jagt Dijkman in ein aus Kupferdrahten bestehendes Tesla-Modell Elektroblitze! Somit hinterfragt sie die Utopie Teslas.

Das Niemandsland von Verdun

Spannend und lehrreich geht die Ausstellung weiter, mit Installationen, die an das unbewohnbare und verseuchte Niemandsland in Verdun erinnern, das bis heute von unzähligen Granatsplittern des Ersten Weltkriegs übersäht ist. Befremdlich und tragisch-anmutig zugleich: Die Betrachter sehen beispielsweise eine Borke, die Dijkman aus mehreren Schrapnelle aus Verdun zusammengesetzt hat. Auch Tannenzapfen, die mit flüssigem Schrapnell-Kupfer überzogen wurden, sind zu sehen und erinnern an Munitionsketten!

Das Highlight der Ausstellung ist aber gewiss die kleine Vardun-Landschaft “Between the Lines – Zwischen den Zeilen”. In der zentralen Eingangshalle bilden aufgestellte Baumstämme ein kleines Niemandsland oder gar Schlachtfeld. Akzentuiert wird die Tragödie von Verdun durch eine Klangkomposition von Henry Vega, die durch kleine Schläger an den Bäumen gespielt wird. Dazu dient ein Video Essay als visuelle Hintergrundleinwand, welches die zerstörte Landschaft aus verschiedenen Blickwinkeln zeigt. Die Bäume stammen aus der sogenannten "zone rouge", einer 120.000 Hektar großen Zone auf dem ehemaligen Schlachtfeld von Verdun im Nordosten Frankreichs. Als Wiedergutmachung hatte Deutschland nach dem Krieg Baumsetzlinge gespendet. Ein dichter Fichtenwald sollte den gefährlichen Zugang zum Niemandsland unmöglich machen. Die kleinen Schläger spielen Henry Vegas Komposition, die von den Klängen des Ersten Weltkriegs inspiriert sind. Wir hören Marschkapelle, Telegraphengeräusche und die Klopflaute von Borkenkäfern, die die Bäume von innen zerstören. Die Baumstämme stehen entweder in Reihe und Glied oder sind “gefallen”. Somit macht Marjolijn Dijkman ein markantes Zeugnis des Ersten Weltkriegs in künstlerischer Form greifbar.

 Die “flüssigen Liegenschaften” Göttingens

Zum Abschluss widmet sich die Künstlerin nach den Elementen Elektrizität und Boden noch den Wassersystemen Göttingens. In einem separaten Saal werden die Wasserproben verschiedener Gewässer Göttingens in dem metallischen Gerüst “Liquid Properties” aufbewahrt. In selbstgeblasenen Glaskugeln aufbewahrt, entwickeln sich die Mikroorganismen im Wasser weiter und bilden kleine Ökosysteme. Somit passen diese “flüssigen Liegenschaften” Göttingens, erneut zur Thematik Transformation und Umweltveränderung.

Alle, die kleine Naturspektakel und greifbare Geschichte in künstlerischer Form erleben wollen, sollten sich Marjolijn Dijkmans Ausstellung auf keinen Fall entgehen! »Between the Lines« läuft bis zum 07. Dezember.

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