Katrin Glatz-Brubakk im Literaturhaus Göttingen | © Photo: Kerstin Kratzsch
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Literaturherbst

„Hopebubbles“ im Kriegsgebiet

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Katrin Glatz-Brubakk über das Privileg, zusammenbrechen zu dürfen
von Kerstin Kratzsch, erschienen am 21. Oktober 2025

Mit eindringlicher Menschlichkeit schildert die Kinderpsychologin Katrin Glatz-Brubakk in Tagebuch aus Gaza ihre Erfahrungen im Gazastreifen. Ihr Tagebuch aus dem Einsatz für Ärzte ohne Grenzen zeigt ungeschöntes Leid – und zugleich berührende Momente von Hoffnung, Mitgefühl und Widerstandskraft. Beim Göttinger Literaturherbst berührte sie ihr Publikum mit Wärme, Ernst und leuchtenden Seifenblasen.

Wir alle haben die Bilder der Trümmerwüsten des Gazastreifens gesehen, die unermessliche Zerstörung, mit Bündeln und Taschen im eigenen „Land“ umherirrende Menschen, die gezwungen sind vor Waffengewalt von einem zum anderen Ort zu flüchten. Menschen, die alles verloren haben, die in ständiger Lebensgefahr, abgeschnitten von überlebensnotwendigen Hilfsgütern in ärmlichen Behausungen ein Dasein fristen, das einem menschenwürdigen Leben nicht mehr gleicht.

Die Autorin Katrin Glatz-Brubakk ermöglicht in ihrem Tagebuch aus Gaza durch ihre sehr persönliche Schilderung einen tieferen Einblick in die Zustände in diesem zerrütteten Kriegsgebiet, in welchem sie mehrere Monate als Kinderpsychologin für Ärzte ohne Grenzen tatkräftig Hilfe leistete. Das Tagebuch, welches Katrin Glatz- Brubakk während ihres Einsatzes führte, bildet die Grundlage des gleichnamigen Buches und dokumentiert ihre Erlebnisse zwischen dem 7.August und dem 9.September 2024 und schließt mit einem Epilog, der nach einer zweiten Reise in das Krisengebiet im Juli 2025 verfasst wurde.

Im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes stellte Glatz-Brubakk ihren von Güte, Menschlichkeit und tief empfundener Empathie geprägten Bericht einem zahlreich herbeigeströmten Publikum im Literaturhaus vor. Nach einem Grußwort von Gesa Husemann und Hinweisen auf das weitere Programm des Literaturherbstes hieß das Publikum die Autorin und ihre Gesprächspartnerin mit einem herzlichen Applaus willkommen. Die Gesprächspartnerin Glatz-Brubakks an diesem Abend, Michaela Böttcher, arbeitet als Social Media Managerin für Ärzte ohne Grenzen und ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Gesellschaft für bedrohte Völker. Zwischen den beiden Protagonistinnen des Abends entspann sich ein feinsinniger Dialog.

Katrin Glatz-Brubakk hat in ihrer Laufbahn als Kinderpsychologin bereits in zahlreichen Krisen- und Konfliktgebieten gearbeitet. Sie nennt die Türkei, den Libanon, Kongo, Ägypten und Flüchtlingsboote im Mittelmeer als bisherige Einsatzorte und nicht zuletzt das griechische Flüchtlingslager Moria über welches Brubakk ebenfalls in einem Buch namens Inside Moria berichtet. Beide Bücher zeugen von der selbst empfundenen inneren Verpflichtung zu helfen, bei der nicht die Frage «soll ich fahren?» im Vordergrund steht,sondern vielmehr die Frage «wie soll ich nicht fahren?«.

In beiden Büchern richtet sie ihr besonderes Augenmerk auf die Folgen der Traumatisierung von Kindern auf deren  psychische und kognitive Entwicklung und stellt die Frage, was es, wie in Palästina heute, psychisch mit Menschen macht, wenn ständig eine Situation herrscht, in der man nicht weiß, ob jemand der eine Örtlichkeit verlässt, überhaupt lebend zurückkommt.

Im weiteren Verlauf liest die Autorin Passagen aus ihrem neuen Buch. Die Tagebucheinträge reichen von der Abreise aus Norwegen, der Ankunft in Gaza, anfänglicher Sorge und Unsicherheit, einem ständig von Drohnensummen und nahen Bombeneinschlägen begleiteten Arbeitsalltag im Nasser Krankenhaus in Khan Yunis, der begrenzten Möglichkeiten der Hilfestellung, der innigen Verbindung zu den KollegInnen und die gegenseitige Unterstützung im Team über eine Bevölkerung, die einer unhaltbaren entmenschlichenden Situation ausgesetzt ist, in der das Leben nicht länger lebenswert erscheint bis hin zu schwerst verletzten und traumatisierten Kindern, verbrannter Haut und Amputationen von Gliedmaßen und der Magie von Seifenblasen.

Die Interaktion mit verletzten Kindern schildert Glatz-Brubakk an konkreten Einzelbeispielen und beschreibt Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Kontaktaufnahme mit zutiefst verängstigten Kindern, die schlimmste Traumata erlitten haben. Die erfahrene Kinderpsychologin und Expertin für die Behandlung von Traumata erscheint hier als ungemein warmherzig, liebevoll zugewandt und einfühlsam im Umgang mit den Kindern. Geprägt ist der Umgang durch die Feinfühligkeit, Zugewandtheit und das Ausstrahlen von Ruhe, die Katrin Glatz-Brubakk einsetzt, um einen Zugang zu verschlossenen Kindern zu finden, aber auch durch Humor, das Grimassen-Schneiden und Späße, die die Kinder zum Lachen bringen. Das „Zaubermittel“ aber sind Seifenblasen. Glatz-Brubakk erklärt dazu, dass Entspannung nur durch tiefes Atmen erreicht werden kann und Atemübungen mit traumatisierten Kindern schwer realisierbar seien. Dort schaffen die Seifenblasen Abhilfe, denn um Seifenblasen zu erzeugen, muss man tief einatmen und langsam auspusten. Dann schweben schillernden Blasen durch die Luft, magisch irisierend, die die Kinder verzaubern, entzücken, beglücken. Die Seifenblasen sind ein Symbol der Leichtigkeit und Hoffnung, die ein Lächeln auf das Gesicht der Kinder zu zaubern vermögen. Glatz-Brubakk nennt sie deshalb nicht Soap- sondern Hopebubbles und illustriert die Schönheit der Blasen, indem sie selbst Seifenblasen bläst, die durchs Publikum schweben.

Den Humor, die Verspieltheit, das Lachen setzt die Autorin dem Grauen des Krieges kontrapunktisch gegenüber. Auch in der Interaktion mit den Kollegen schildert sie Momente des Lachens, des Verständnisses, der Harmonie und die Hoffnung, die nach Glatz-Brubakk nicht aufgegeben werden kann. Sie nennt die Hoffnung aufzugeben  ein Privileg, dass wir uns nicht leisten können, Die Kraft und Resilienz der Autorin und ihrer Kolleg:innen ist bewundernswert. Trotz widrigster Umstände setzen diese Menschen das eigene Leben aufs Spiel, um Hilfe zu leisten und für andere dazusein.

Das Tagebuch aus Gaza enthält ungeschönte Tatsachen, Unmengen von Information aus erster Hand und ermöglicht eine Auseinandersetzung mit der Gestalt und den Auswirkungen von Krieg auf Erwachsene, vor allem aber auch Kinder.

Der Bericht erschreckt und verstört, zeigt Zustände der Bedrohung und unaussprechlicher Trauer, bietet aber gleichzeitig Hoffnung und unterstreicht im Umkehrschluss die Bedeutsamkeit von Frieden, das Privileg eines Lebens in Sicherheit. 

Zuletzt richtet die Autorin einen Appell an das Publikum. Folgende Dinge sollen die Leser:innen beherzigen: Zustände auszuhalten und ausdauernd zusammenzuhalten, um gegen Missstände vorzugehen, eine breite Mobilisierung für wirkungsvolle Hilfsmaßnahmen zu schaffen und so humanitäre Hilfe zu fördern. Allein die Anwesenheit des Publikums an diesem Abend, betont Katrin Glatz-Brubakk, stelle eine enorme Unterstützung für die Hilfskräfte vor Ort dar.

Das Publikum spendet der Autorin, die durch ihre Güte, Ehrlichkeit, unverstellte emotionale Bewegung eine berührende Verbindung zu den Zuhörer:innen schuf, langanhaltenden Applaus. Man verlor sich hinaus in die kalte Nachtluft des Sonntagabends, Worte und Gedanken hallen nach. Ein Glück, am Leben zu sein.

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