Satirisch, provokant und vielschichtig – so lassen sich Hengameh Yaghoobifarahs literarische Werke beschreiben. An diesem Abend soll es im Gespräch mit Alexandra Friedrich um Yaghoobifarahs Roman »Schwindel« gehen, einem Werk der queeren Literatur, das Humor, politische Themen und Selbstreflexion vereint.
Die Idee für die Handlung des Romans kam Yaghoobifarah während eines Fotoshootings auf einem Hochhaus und sofort war klar, dass es sich um eine Polykonstellation handeln solle. Im Zentrum steht Ava, die unfreiwillig mit ihren drei Liebhaber:innen – die nichts voneinander wissen – auf dem Dach eines Hochhauses ausgeschlossen wird. Dadurch entsteht reichlich Potenzial für Konflikte, da die Figuren sich abgeschnitten von der Welt gezwungenermaßen mit sich selbst und den jeweils anderen auseinandersetzen müssen.
Alexandra Friedrich fragt Yaghoobifarah zunächst nach der Bedeutung des Titels. Der Schwindel zieht sich in all seinen Dimensionen durch den Roman, er zeigt sich durch die schwindelerregende Höhe des Hochhausdaches, den Konsum von Drogen und vor allem auch, indem jede der Figuren sich selbst und den anderen etwas vormacht, also schwindelt. „Fiktion ist ja immer Schwindel“, behauptet Yaghoobifarah und meint damit, dass das Schreiben sich wie Scammen anfühle, da man eine ausgedachte Geschichte niederschreibt und sich dabei wie ein Hochstapler fühlt.
Besonders interessant ist Yaghoobifarahs Art des Schreibens: es wird abwechselnd aus den Perspektiven der Romanfiguren erzählt, wobei zwar die dritte Person verwendet wird, aber trotzdem jede Figur ihren eigenen „Sound“ hat. So sind die Sätze mal sehr verschachtelt, mal ist der Stil abstrakter und experimenteller. Yaghoobifarah erläutert, dass die Leser:innen jeden Charakter durch die Form und den Stil des Textes besser spüren und verstehen sollen. Zu dieser originellen Schreibweise passt auch Yaghoobifarahs Herangehensweise an den Schreibprozess – worauf die Geschichte hinauslaufen sollte war zwar von Anfang an klar, aber viele der Wendungen im Roman kamen ganz intuitiv und unerwartet.
Anschließend dreht sich das Gespräch um die queere Erzähltradition, deren Teil es ist, verschiedene Genres und Erzählformen zu vermischen. In dem Zuge spricht Hengameh Yaghoobifarah auch über das Gendern und die queere Sprache, in der viele Anglizismen verwendet werden. Yaghoobifarah findet es interessant, dadurch „die Sprache zum Verfall zu bringen“ und erklärt, dass die Jugendsprache und die vielen popkulturellen Referenzen im Roman die Leseerfahrung nicht kaputt machen würden und dass es ja nur schlüssig sei, nicht binär zu gendern, da nichtbinäre Charaktere im Roman vorkommen.
Alexandra Friedrich lenkt das Gespräch anschließend auf das Verhältnis Yaghoobifarahs zu den Romanfiguren. „Ich fand alle Figuren auf ihre Weise sehr nervig“, erzählt Yaghoobifarah, gerade dies macht die Charaktere aber sehr menschlich, da man sich trotzdem in sie hineinversetzen kann. Jede der Figuren verkörpert einen anderen Typus der queeren Gemeinde, so wird der einen vorgeworfen, nicht queer genug zu sein, und die andere wird der Transfeindlichkeit beschuldigt. Außerdem hat jede der Figuren ihre eigenen Schicksalsschläge erlebt und wurde von verschiedenen politischen Themen geprägt, um welche es sich auch in dem Roman dreht. Auch Begehren und Sexualität spielen eine große Rolle in dem Buch. Dabei geht es nicht unbedingt explizit um den sexuellen Akt selbst, sondern dieser dient dazu, mehr über die verschiedenen Figuren und ihre jeweiligen Geschichten zu lernen.
Yaghoobifarah erzählt auch, dass Verlage im Ausland ablehnten, das Buch zu übersetzen, da es aufgrund der ausschließlich queeren Figuren zu marginal sei. Trotz der eher negativen Erfahrung im Literaturmarkt, erntet der Roman ansonsten sehr gutes Feedback. Der Roman ist für den Literaturpreis der deutschen Wirtschaft nominiert, in Dortmund wurde eine Bühnenfassung basierend auf dem Buch ausgearbeitet und auch die Zuschauer:innen im Literaturhaus Göttingen sind beeindruckt – mehrmals wird der ganze Raum zum Lachen gebracht und auch der langanhaltende Applaus spiegelt die Begeisterung wider.