Ein stilles musikalisches Wunder geschah am Samstag, den 10. Mai, in der Johanniskirche Göttingen. Im Rahmen des »Klangraum«-Gottesdienstes erklang Gioachino Rossinis »Petite Messe solennelle« – ein Werk, das schon durch seinen Titel mit ironischem Augenzwinkern kokettiert und doch musikalisch tiefgründige Spiritualität entfaltet. Unter der Leitung von Kantor Bernd Eberhardt stellte sich das Harnisch-Ensemble, bestehend aus Mitgliedern der Göttinger Stadtkantorei, der anspruchsvollen Partitur – mit bemerkenswerter Musikalität, Hingabe und klanglicher Raffinesse.
Die wohl größte Überraschung des Abends lag in der Qualität der vokalen Darbietung: Die Solopartien wurden von Ensemblemitgliedern übernommen – Anne-Bärbel Frassine (Sopran), Barbara Schäfer (Alt), Tobias Broda (Bass) sowie Mathias Schlachter (Tenor), letzterer als einziger professioneller Sänger. Doch wer auf dieser Basis ein Gefälle in der künstlerischen Leistung berüchtete, sah sich angenehm getäuscht. Frassine überzeugte mit ihrem hellen Sopran, der in den hohen Lagen nie an Strahlkraft verlor. Barbara Schäfer brachte mit ihrem Alt eine Erdigkeit und Ruhe in die Klangbalance, die der emotionalen Tiefe der Messe gerecht wurde. Tobias Broda bewies mit seinem sonoren Bass sowohl Autorität als auch Sensibilität. Matthias Schlachter fügte sich mit technischer Brillanz und expressivem Ausdruck nahtlos in die Riege ein. Zusammengenommen ergab sich eine harmonische, bestens abgestimmte Quartettleistung, die keinerlei amateurhafte Schwächen offenbarte – im Gegenteil: Es war bewegende musikalische Hingabe zu spüren, getragen von persönlichem Einsatz und Ernsthaftigkeit.
Auch der Chor zeigte sich in beeindruckender Form. Die Sänger:innen agierten weitgehend autonom, denn Chorleiter Bernd Eberhardt saß zumeist am Klavier – eine Herausforderung, die das Ensemble mit bewundernswerter Disziplin und Musikalität meisterte. Intonationssicher, homogen im Klang und ausdrucksstark in der Dynamik, präsentierte sich der Chor als tragende Säule des Abends. Besonders bemerkenswert war die Souveränität in den a-cappella-Passagen und die präzise Intonation bei Übergängen zu begleiteten Teilen – ein Zeichen intensiver Probenarbeit und eines tiefen Verständnisses für die Musik Rossinis.
Ein besonderes Augenmerk galt der instrumentalen Besetzung. Statt eines Harmoniums, wie von Rossini vorgesehen, entschied sich Eberhardt für den Akkordeonisten Jens Michel – eine mutige Wahl, die sich als künstlerisch schlüssig erwies. Michels feinfühliges Spiel fügte sich klanglich gut ein und verlieh dem Werk einen eigenständigen Charakter. Allerdings wurde sein Spiel an einigen Stellen vom kräftigen Klavierpart Eberhardts überdeckt – ein akustisches Ungleichgewicht, das vermutlich auch dem Verzicht auf ein zweites Klavier geschuldet war. Eberhardt meisterte seine Doppelrolle mit bewundernswerter Technik, wenngleich sein kraftvolles Spiel stellenweise etwas zu dominant geriet und den zarten Klang des Akkordeons in den Hintergrund drängte.
Was diese Aufführung jedoch besonders machte, war der Kontext: Die Messe als Bestandteil eines Gottesdienstes zu erleben, verlieh dem Werk eine neue Dimension. Der liturgische Rahmen verstärkte die spirituelle Wirkung des Textes und brachte Rossinis Musik in einen Raum, der ihrem ursprünglichen Zweck näherkommt als der Konzertsaal. Die Atmosphäre war geprägt von ehrlicher Anteilnahme, Stille und Konzentration – die Zuhörer:innen, zahlreich erschienen, lauschten aufmerksam und reagierten am Ende mit langanhaltendem Applaus.
Diese »Petite Messe solennelle« war keine kleine Messe im klanglichen Sinne – sie war ein großes, zutiefst berührendes Erlebnis, das lange nachhallt. Das Harnisch-Ensemble hat bewiesen, dass musikalische Qualität nicht zwingend professionelle Karrieren voraussetzt, sondern in erster Linie von Leidenschaft, Ernsthaftigkeit und Hingabe getragen wird. Es war ein Abend, der Geist und Herz gleichermaßen ansprach – ganz im Sinne Rossinis.