Fast alle Wohnungen sind verkauft – nur eine fehlt noch, bevor Immobilienmogul Glomm das ganze Gebäude besitzt, abreißen und neu errichten kann. Die Angestellte der Stadtverwaltung Frau Huhn samt Praktikantin Greta und Vertrag stehen bereit, der Notar kommt in wenigen Minuten. Doch: Besitzer Herr Schreck ist unentschlossen, Aktivistin Frau Ott drängt heftig gegen den Verkauf.
In dieser angespannten Lage setzt das Stück »Stadt aus Gold« an, das am 31. Mai im Jungen Theater Premiere feierte. Es handelte sich um eine Uraufführung, das Stück wurde von Intendant Nico Dietrich und Co. in Auftrag gegeben und von Lothar Kittstein und Hüseyin Michael Cirpici umgesetzt. Herausgekommen ist ein „Recherchestück“ über sogenannte Problemimmobilien – inspiriert von Göttinger Wohnkomplexen wie Groner Landstraße, Iduna-Zentrum und Hagenweg.
Ensemble aus wenig originellen Figuren
Die Vision von Glomm (Jan Reinartz) ist eine altbekannte: Aus den 800 Wohnungen, die auf 13 Stockwerke verteilt sind, soll ein glänzender Luxusbau werden. Weg mit den abgeranzten Fluren, der abgeblätterten Farbe und den verkommenen Wohnungen. Er sieht sich als König Midas, der eine „golden city” (zu Deutsch: „Goldene Stadt”) errichten möchte. Die Bühne bietet dazu heftigen Kontrast: Eine Wand ist errichtet worden, etliche abgenutzte Türen führen nach links, nach rechts und nach hinten, die Schauspieler rennen á la „Asterix und Obelix” von einer zu nächsten.
Frau Huhn (Agnes Giese) vertritt die Stadtverwaltung, doch hinter der sachlichen Fassade schlummert ein Geheimnis: Ihr Koffer ist voller Schwarzgeld, mit dem Herr Schreck zum Kauf gebracht werden soll, die Stadt macht hier bei allem mit. Der, verkörpert von Jens Tramsen, will mit dem Bargeld seine Schulden begleichen und endlich reisen, raus, hinaus in die Welt. Die letzten im Quintett sind die Schwestern Greta und Frau Ott: Letztere wirkt wie die Klischee-Aktivistin, wie sich von Konservativen vorgestellt wird. Sie schreit unangenehm über die Bühne, legt einen realitätsfernen Idealismus an den Tag und mischt sich in Angelegenheiten anderer ein – vielleicht liegt das an der Darstellung von Julia Höhfeld, vielleicht am Stück selbst. Die 16-jährige Greta (Amanda Kreutzfeldt) wiederum ist das verlorene Nesthäkchen, sie wird von ihrer Betreuerin Frau Huhn alleingelassen, auf herablassende Weise beleidigt („du nichtsnutzige Verliererin”) und auch ihre Schwester scheut sich der Schimpfworte nicht, als sie überlegt, ihr Praktikum beim bösen Glomm fortzuführen.
Labyrinth der Türen
Nur zu Beginn und am Ende stehen alle Figuren gemeinsam auf der Bühne. Dazwischen verschwinden sie in Duos, Trios oder alleine. Mal wird Herr Schreck gesucht, mal sucht der nach der jungen Schülerin, dann verschwindet der ominöse Koffer voller Geld, ständig heißt es: „Der Termin mit dem Notar ist gleich!” Zwischen Ott und Glomm entfacht der Klischee-Konflikt, junge selbstbewusste Frau versus alter weißer Mann. Die Diskussion bekommt hier neues Gewand: „Sie Parasit, Sie Schmarotzer”, ruft Ott, während Glomm behauptet, „Wohnraum zu schaffen”. Plakative Sätze werden von einem zum anderen geworfen, dazwischen werden die Figuren ganz unangenehm handgreiflich miteinander. Wirklich tiefgehend werden Probleme, wie rassistische Klischees, nicht behandelt.
Greta ist die dynamischste Figur, sie steht zwischen Schwester, Betreuerin und möglichem neuen Mentor. Sie stolpert durch die Gänge. Besonders Ernst wird das Leiden der Bewohner nicht genommen, es artet eher zu einem Labyrinth im „Alice im Wunderland”-Stil aus, was wohl die Zuschauer belustigen soll. In dem einen Gang hängen Fahrradrahmen, im anderen ist alles stockduster, in der nächsten Wohnung hängt Lammfleisch herum, an anderen Stelle hört man Männerlachen und schnaufende Riesenhunde. Fast erwartet man Fluffy aus „Harry Potter und der Gefangene von Askaban” hinter der nächsten Tür zu erblicken.
Kant auf Klo
Dazu kommt eine Prise Ekelhumor: alle haben Darmprobleme, Wasser, Klopapier, Spülung fehlen. Frau Ott will Greta das „vollgeschissene“ Klo putzen lassen, während Schreck bemerkt, dass seine Kant-Ausgabe als Toilettenpapier herhalten musste. Er probiert sich an Stellen am tiefsinnig anmutenden Sinnieren, zum Beispiel über die Vergänglichkeit. Wirklich philosophisch wird es hier trotzdem nicht. Auch sind in das Stück immer wieder kleine Sequenzen eingebaut, in denen ein oder mehrere der Schauspieler Anekdoten rund um die „Problemimmobilie” berichten, basierend auf der Recherche von Kittstein und Cirpici. Die funktionieren gut und werden gekonnt in den Text eingebaut, doch am Ende wird auch der Wechsel von Anekdoten und Haupthandlung etwas ermüdend. Die Lichttechniker muss man an dieser Stelle jedoch loben: Der Wechsel zwischen warmem Licht für Plot und kaltem Licht für wahre Begebenheit läuft makellos.
Das Motiv Gold taucht öfter auf, auch mit der Midas-Referenz wird der Punkt klar: Im griechischen Mythos scheitert der König letztlich, auch hier ist die Kritik daran, wer über Stadt und Wohnraum bestimmen darf und wer nicht, deutlich. So erklärt das Stück zudem, wie es überhaupt zu solchen Gebäuden kommt. Der vage Schluss überrascht nicht, trifft aber die Gegenwart: „Es haben immer beide Seiten recht”, wirft Herr Schreck in melodramatischer Verzweiflung ein.
Eine Berechtigung hat »Stadt aus Gold«” zweifelsfrei, das Thema ist aktueller denn je. Aber bleibt das Stück mehr als eine Möglichkeit für das Publikum, sich auf begrenzten Raum kurz an die Probleme anderer zu erinnern und sich dann selbst für die eigene Empathie zu beklatschen? Standing Ovations gab es zur Premiere zumindest en masse.