Mit einem Konzert der Camerata Freden sind am Sonnabend die 33. Internationalen Fredener Musiktage eröffnet worden. Sie stehen in diesem Jahr unter dem Motto „Zwanzigerjahre“. Zu hören war in der fast ausverkauften Zehntscheune Musik von Bach, Richard Strauss und Schubert – am Ende mit begeistertem Schlussapplaus und Bravorufen. Dazu gab es die Vernissage der begleitenden Kunstausstellung mit Bildern von Bernardino Toppi und Skulpturen von Manuel Díez Rollán.
Das Motto „Zwanzigerjahre“ bezieht sich, wie Aline Faass, Vorsitzende des Fördervereins, in ihrer Begrüßung hervorhob, nicht allein auf die 1920er-Jahre. Auch in den Jahrhunderten zuvor und in der Gegenwart seien diese Jahre vielfach Zeiten des Umbruchs gewesen, denen sich die Musiktage widmen wollten. Das war schon im Programm des Eröffnungskonzerts der rote Faden: Bachs Inventionen entstanden 1723, Schuberts Oktett 1824. Und mit einem kleinen Trick konnte der Geiger Adrian Adlam, künstlerischer Leiter der Musiktage, bei seiner kurzen Einführung zu Richard Strauss’ 1895 komponierter Tondichtung „Till Eulenspiegel“ den Bogen zu den Zwanzigerjahren schlagen: Er las eine kurze, themagerechte Episode aus dem Roman „Tyll“ von Daniel Kehlmann, der den Schelm mit der Narrenkappe in der Zeit des 30-jährigen Krieges auftreten lässt, also in der 1620er-Jahren.
Reiz unterschiedlicher Klangfarben
Zwei der drei Programmpunkte des Eröffnungskonzerts waren keine Originalwerke, sondern Bearbeitungen – und zwar solche, die den Reiz des Originals noch zu verstärken vermögen. Bach schrieb seine Inventionen für Cembalo. Die Invention Nr. 11 g-Moll erklang in einer Streichtrio-Bearbeitung von Wolfgang Link: Violine, Viola und Violoncello können den Verlauf der drei Stimmen wesentlich transparenter und individueller erkennen lassen als die zehn Finger eines Tasteninstrument-Spielers. Adrian Adlam (Violine), Ulrich Eichenauer (Viola) und Frank-Michael Guthmann (Violoncello) ließen die thematisch bedeutsamen Passagen sanft hervorleuchten, wobei man sehr deutlich merken konnte, dass die anderen Stimmen stets Belangvolles zu sagen hatten, nicht etwa bloß Begleitfiguren exekutierten.
Für die 5. Invention in Es-Dur war eine Bearbeitung für Bläsertrio von Alan Hawkins und Trevor Cramer gewählt worden: Jetzt trat zum individuellen Stimmverlauf noch der zusätzliche Reiz unterschiedlicher Klangfarben hinzu. Dafür waren drei Meister ihres Faches engagiert: die junge französische Klarinettistin Anaïde Apelian, der österreichische Fagottist David Seidel und der in London geborene Hornist Ben Goldscheider. Sie interpretierten das kleine Bachsche Werk mit größter Delikatesse und Ausgewogenheit.
Strauss zu Fünft
Bleibt der gemeinsame Klang von Streichern und Bläsern: Leonard Eröd hat die Inventionen für ein gemischtes Sextett bearbeitet, in dem die drei Stimmen bisweilen solistisch, gern aber auch in Kombinationen verschiedener Instrumente auftreten, ihre Farbmöglichkeiten also noch einmal gesteigert werden. Das bekam der 2. Invention in c-Moll ausgezeichnet, sie wurde ein kleines, leuchtkräftiges Kaleidoskop wechselnder Nuancen.
Der Wiener Komponist und Lehrer Franz Hasenöhrl (1885-1970) hat seine Bearbeitung der Straussschen Tondichtung für fünf Instrumente „Till Eulenspiegel einmal anders“ genannt und „Eine Groteske“ untertitelt. In der Tat ist die Reduktion des vollen Orchesterapparats auf fünf Instrumente – Violine und Kontrabass, dazu Klarinette, Horn und Fagott – ein unerhörtes Wagnis. Doch, o Wunder, der musikalische Inhalt verliert trotz der Reduktion nichts von dem Schwung und dem Fluss der ursprünglichen Orchestrierung.
Kleinod zum Finale
Dafür sorgten Adlam, Apelian, Seidel, Gottscheider und Hiroyuki Yamazaki am Kontrabass mit Enthusiasmus und Leidenschaft – zugleich mit außerordentlicher kammermusikalischer Kunst, indem sie intensiv einander zuhörten, sich lebendige, ja sprechende Dialoge lieferten und die Tücken der geschrumpften Partitur mit Virtuosität und klangfarblicher Raffinesse meisterten.
Ein Kleinod gab es zum Finale: Schuberts himmlisches Oktett, das man nur alle Jubeljahre im Konzertsaal hört, weil eine solche Besetzung – Streichquartett, Kontrabass sowie Klarinette, Fagott und Horn – normalerweise nicht zu den gängigen Ensembles gehört. Für solche Musik ist die Konstruktion der Camerata Freden ideal: Die Musikerinnen und Musiker sind allesamt sowohl in Orchestern als auch in Kammermusikbesetzungen aktiv und können, wenn sie sich zu den Musiktagen in Freden treffen, auch ungewöhnliche Teams bilden.
Dementsprechend harmonisch war das Zusammenspiel der Musikerinnen und Musiker – professionell komplettiert durch Gabriella Shek an der zweiten Violine – in Schuberts Oktett. Ein Beispiel: Wunderbar zart intonierte die Klarinette das überirdisch schöne Thema des langsamen Satzes, auf das Adlam auf seiner Violine mit gleicher Zartheit antwortete. Bisweilen schien es, als behandele die Camerata Freden Schuberts Musik wie kostbares Glas, das zerbräche, würde man es zu fest anpacken. Zum melodischen Schwelgen kam eine unschuldige volksmusikalische Note, tänzerische Leichtigkeit und hier und da eine beinahe symphonische Fülle: eine Mannigfaltigkeit, die für puren Genuss sorgte. Am Ende prasselte der Beifall der begeisterten Zuhörerinnen und Zuhörer fast so heftig wie in der Konzertpause der Regen. Ein traumhafter Auftakt der Musiktage.
Bilder und Skulpturen
In der Ausstellung werden 23 Bilder des 1939 in Rom geborenen, in Paris lebenden Künstlers Bernardino Toppi gezeigt. In seinen Bildern benutzt Toppi eine Technik, die sonst eher für großformatige Bilder bei der Ausmalung von Kirchen benutzt wird, die Freskomalerei. Dabei wird mit Farbpigmenten versetzter Mörtel auf eine haftende Grundschicht aufgetragen. Toppis Bilder besitzen einen ganz eigentümlichen Reiz, sie spielen mit der rasch verblassenden Erinnerung an Trauminhalte, mit dem Effekt des Unfertigen, Fragmentarischen. Zudem passen sie in ihrer Struktur perfekt zur den rohen Feldsteinmauern der Zehntscheune, von denen sie sich, wäre nicht der weiße Rand um das Bild, kaum abheben würden.
Sein großformatiges Bild „Concert en automne“ (Konzert im Herbst), das wirkungsvoll und zugleich mit deutlichem Bezug zu den Musiktagen hinter dem Podium der Zehntscheune platziert ist, zeigt eine Gruppe stehender Menschen mit dunklen Gesichtern und weißer Kopfbedeckung, hinter denen offenbar ein Dirigent steht. Möglicherweise spielen sie auf Instrumenten – doch das bleibt im Ungefähren. Wesentlich deutlicher gestaltet ist eine Gruppe im Vordergrund rechts, bei der es sich um Zuhörer handeln könnte. Ein kleiner Witz ist im Bild versteckt: Ganz vorn sieht man einen scharf konturierten Hund, der eigentlich bei einem Herbstkonzert überhaupt nichts zu suchen hätte. Ist er brav und hält seine Schnauze? Hoffen wir’s.
Ergänzt wird die Bilderschau durch dunkel lackierte Metallskulpturen von Manuel Díez Rollán (1924-2009). Dieser spanische Künstler war an den Avantgarde-Bewegungen des 20. Jahrhunderts beteiligt. Er war mit Pablo Picasso, Joan Miró und Salvador Dalí befreundet. Daneben hat er an Theatern Bühnenbilder geschaffen, unter anderem in Hannover und an der Berliner Volksbühne und der Schaubühne. Zwei Skulpturen verkaufte er an die iranische Kaiserin Farah Diba. Eine seiner Installationen befindet sich im Garten der Villa von Dalí in Cadaqués.
Für seine Skulpturen hat Diéz Rollán nicht selten Alltagsgegenstände benutzt. Sein „Fahrrad“ ist aus realen Zahnkränzen und Ketten zusammengesetzt, ja es besitzt sogar einen echten Scheinwerfer. Beim „Hahnenkampf“ reißen die kämpfenden Federtiere aggressiv weit ihre Schnäbel auf, die früher einmal Beißzangen waren, ihre spitzen Krallen sind ursprünglich Holzschrauben. Weiter unten auf einem niedrigen Podest hockt friedlich ein metallener Käfer, an dem man sich vermutlich die Zähne ausbeißen würde. Es gibt viel zu entdecken in dieser Ausstellung, die allerorten die Fantasie des Beschauers entzündet. Zugänglich ist sie während der Musiktage bei allen Konzerten in der Zehntscheune.