Der Universitätskammerchor unter der Leitung von Antonius Adamske | © Photo: Christoph Mischke
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Universitätsmusik

Klangwelten zwischen Renaissance und Frühbarock

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Universitäts-Kammerchor begeistert in der Paulinerkirche
von Bernd Homeyer, erschienen am 15. September 2025

Ein spannendes und außergewöhnliches Konzertprogramm präsentierte der Kammerchor der Universität unter der Leitung von Antonius Adamske in der Paulinerkirche. Die klangliche Zeitreise führte das Publikum in die Welt des 15. und 16. Jahrhunderts, also in die Epochen der Spätrenaissance und des Frühbarock. Vorgestellt wurden Madrigale von sechs Komponisten und Komponistinnen, die vor 400 Jahren tätig waren. Die „Alte Musik“ erschien an diesem Sonntagnachmittag keineswegs verstaubt und angegraut, sondern erstaunlich gegenwärtig und inspirierend.

Das Programm begann mit zwei fünfstimmigen Madrigalen von Maddalena Casulana Mezari. Sie ist die erste Frau, die sich als Komponistin der Öffentlichkeit präsentierte, indem sie ihre Werke in Venedig drucken ließ und damit vervielfältigte. 

Der 32-köpfige Kammerchor sang mit weichem, runden Ensembleklang, die Stimmen setzten stets präzise ein. Der jugendliche Esprit und der insgesamt sehr schlanke, homogene Klang sorgte beim Publikum für Glücksgefühle. Die Bassstimme, in vielen Chören nur als harmonische Grundlage spürbar, war deutlich herauszuhören. Unterstützt wurde der Kammerchor durch das sehr lebendige Dirigat von Antonius Adamske mit viel Körpereinsatz. 

Auf Casulana folgten drei besonders interessante „Chansons“ von Nicola Vicentino. Er komponierte in einem chromatisch angereicherten Stil und bezog sich damit auf die antike Enharmonik. Sie schloss kleinere Intervalle als die uns geläufigen Halbtöne mit ein bis hin zu Fünfteltönen. Vicentino komponierte, als die Mehrstimmigkeit noch neu war, und wollte die Möglichkeiten der menschlichen Stimme voll ausschöpfen. Sie kann nämlich viel mehr, als die uns geläufigen acht Stufen der Tonleiter zu singen. Es ging Vicentino um Wohlklang und die vielen Zwischentöne, und so konstruierte er ein eigenes Instrument zur Begleitung seiner vieltönigen Vokalmusik: das Archiorgano mit 31 Tönen pro Oktave! 

Den Nachbau eines solchen Instruments hatte der Schweizer Musiker Johannes Keller mit nach Göttingen gebracht, das einzige Exemplar dieser Art. Unterstützt wurde Keller durch Fred Uhlig an der sechssaitigen Violone, eine Art Brückeninstrument zwischen Gambe und Kontrabass. Den Chor erlebte man hier in kleinerer Form mit nur 15 Sängerinnen und Sängern. Das zweite Madrigal von Vicentino wurde sogar nur von vier Solostimmen aus dem Chor gesungen. Dass fast alle Chorist:innen auch als Solosängerinnen und -sänger so souverän und virtuos auftreten wie in der Universitätsmusik, das kennt man sonst nur von Profichören. Von Vicentino erklang auch der Hymnus „Ave maris stella“ für die Archiorgano als Solostück. Den Cantus firmus sang Antonius Adamske als Solist und bekannte, dass man sich bei den ungewohnten mikrotonalen Wendungen fühle, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen.

Musik von besonderer Ausdruckskraft schuf auch der dritte Komponist des Konzertes, Carlo Gesualdo. Auch er ist bekannt für den häufigen Einsatz von Chromatik und kühnen Harmoniewechseln; seine Madrigale handeln von Liebeskummer, der gleichzeitig als süß und schmerzhaft empfunden wird. In der Fachwelt führen manche seine musikalische Radikalität darauf zurück, dass Gesualdo 1590 seine Ehefrau und deren Liebhaber umbrachte. Das blieb zur der damaligen Zeit als „Ehrenmord“ zwar ungesühnt, die Tat hat aber den Komponisten ein Leben lang verfolgt. 

An vierter Stelle standen zwei Vokalstücke von Michelangelo Rossi, 40 Jahre jünger als Gesualdo. Das in seinen Madrigalen dargestellte Gefühlschaos verdeutlichen kühne chromatische Tonschritte und eine komplexe Polyphonie.

Als Meister der Mehrstimmigkeit gilt bis heute Claudio Monteverdi. Von ihm hatte der Chor zwei hinreißende Liebeslieder ausgewählt. Hier glänzte der Kammerchor mit dem beeindruckenden und sehr lebendigen Wechsel von zarten Solopassagen und vollem Tuttiklang.

Mit zwei Madrigalen der Komponistin Barbara Strozzi schloss das Konzert. Die gesellschaftlichen Normen der Zeit verbannten ihre Kompositionen in den privaten Bereich. Trotzdem blieb ein umfangreiches Werk an Kompositionen erhalten, die zeigen, dass Strozzi mit ihrer sehr rhythmischen und tänzerischen Musik begeisterte.

Wer sich Musikgeschichte wie eine Evolution vorstellt, die nur auf Fortschritten aufbaut, der wurde durch dieses einzigartige Konzert eines Besseren belehrt: Durch die Standardisierung unseres Tonsystems geht auch viel verloren an Vielfalt und Möglichkeiten, die in Vergessenheit geraten. Das ist das große Verdienst dieses besonderen Konzertes in der Paulinerkirche, einen klanglichen und emotionalen Reichtum wiederbelebt zu haben. Davon berührt war auch das begeisterte Publikum, das sich als Zugabe die Wiederholung des Eingangsstückes erklatschte. 

Noch lange stand man in der ehrwürdigen Bibliothek, die einen genialen Rahmen für dieses Konzert geboten hat, zusammen, um über die besonderen Hörerlebnisse zu sprechen und Nachfragen an die Musikerinnen und Musiker zu stellen.

Bernd Homeyer

 

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