Mit einer glanzvollen Aufführung von Georg Friedrich Händels Oratorium »Solomon« wurden am Freitagabend die diesjährigen Internationalen Händel-Festspiele Göttingen eröffnet. Die nahezu ausverkaufte Stadthalle erlebte ein musikalisches Ereignis von seltener Dichte und Ausdruckskraft, das mit stehendem Applaus und Jubel vom Publikum gefeiert wurde. Die zweisprachige Eröffnungsansprache von Landrat Marcel Riethig betonte die kulturelle Strahlkraft des Festivals – ein passender Auftakt zu einem musikalisch überragenden Abend.
Ein Chor von überirdischer Klangschönheit
Das NDR Vokalensemble (Einstudierung von Klaas-Jan de Groot) präsentierte sich in absoluter Bestform. Ob feierlich, erzählend oder kommentierend – die Sängerinnen und Sänger agierten mit bemerkenswerter Flexibilität und dramaturgischer Intelligenz, ganz im Sinne Händels, der seine Chöre ähnlich wie im antiken Theater als Handlungsträger angelegt hat. Unter der Leitung von George Petrou entfaltete sich eine Chordramaturgie von mitreißender Energie. Besonders eindrucksvoll gelang der Chor „May no rash intruder disturb their soft hours“, dessen fast überirdische Klanglichkeit einen der emotionalen Höhepunkte des Abends bildete.
Solistische Glanzlichter
In der Titelrolle begeisterte Lena Sutor-Wernich als Solomon. Sie war eine ideale Besetzung: Ihre warme, edle Mezzosopran-Stimme verlieh der allegorisch überhöhten Königsfigur Würde und Innigkeit zugleich. Schon mit dem ersten, tief angesetzten Ton zog sie das Publikum in ihren Bann – eine gesangliche Verkörperung von Weisheit und Ruhe.
Francesca Lombardi Mazzuli glänzte in ihrer Doppelrolle als Königin von Saba und als Second Harlot. Sie zeigte eine bemerkenswerte stimmliche und darstellerische Wandlungsfähigkeit – lyrisch und bewundernd als exotische Monarchin, dramatisch und aufgewühlt als verzweifelte Mutter im Kindesstreit.
James Way als Zadok überzeugte mit klarer Deklamation und atemberaubender Koloraturtechnik, während Armin Kolarcyk dem Leviten mit seinem warm timbrierten Bariton eine würdige Präsenz verlieh. Carlotta Colombo gestaltete die kleine Rolle der First Harlot mit emotionaler Dringlichkeit, genau auf den dramatischen Kern der Szene zugespitzt.
Klangfarben mit Raffinesse – Das FestspielOrchester Göttingen
Das FestspielOrchester Göttingen (FOG) unter der Leitung von Petrou brillierte durchweg mit stilistischer Sicherheit, Leichtigkeit und Ausdruckskraft. Besonders hervorzuheben sind die Traversflöten, meisterhaft gespielt von Kate Clark und Brian Berryman, deren Klangfarben – etwa in den imitierenden „Nachtigallen“ – wahre Klangbilder schufen.
Die Oboen von Susanne Regel und Kristin Linde verliehen vielen Arien und Chören ein leuchtendes, oft kontrastreiches Kolorit. Trotz Petrous stellenweise zügigem Tempo bestachen sie durch technische Brillanz und federnde Eleganz.
Im berühmten Vorspiel zum dritten Akt – „The Arrival of the Queen of Sheba“ – zeigte das Orchester, wie man höfische Festlichkeit mit feinen Nuancen verbinden kann: nicht pompös, sondern mit bewundernswerter Leichtigkeit und klanglicher Detailfreude.
George Petrou – Dramaturg der Tiefe
Dirigent George Petrou bewies einmal mehr, warum er zu den profiliertesten Händel-Interpreten der Gegenwart zählt. Über die gesamten 3,5 Stunden hinweg hielt er Spannung, Energie und Ausdruck auf höchstem Niveau. Seine Interpretation verband historische Aufführungspraxis mit moderner Ausdruckskraft, stets im Dienst der Musik. Er verstand es, dramatische Tiefe und emotionale Vielfalt aus Händels Partitur herauszuarbeiten – ohne überzeichnete Effekte, aber mit klarem dramaturgischem Gespür und lebendiger Musikalität.
Fazit: Ein musikalisches Ereignis von außergewöhnlicher Dichte und Schönheit – „Solomon“ unter George Petrou war ein würdiger, bewegender und künstlerisch brillanter Auftakt der Göttinger Händel-Festspiele 2025. Ein Abend, der Maßstäbe setzt.