Fast hat es den Anschein, als ob der gemeinsame Fernsehabend in eine mittlere Ehekrise mündet. Schuld sind natürlich die Kandidaten für den European Song Contest, die das Paar auf dem Sofa nicht in harmonische Stimmung versetzen, sondern in Streitlaune mit Bier, Kartoffelchips und Fernbedienung. Doch selbst die Beiden können dem Sound von ABBA nicht widerstehen. Schon nach den ersten Takten von »Waterloo« strahlen die Gesichter von Noraleen Amhausend und Dirk Hinzberg, die das Publikum zur Eröffnung der Domfestspiele jetzt als Moderatoren-Duo umso mehr anfeuern können: Für das große ABBA-Konzert mit dem musikalischen Feuerwerk, dass Nadine Kühn (Agneta), Jessica Trocha (Anni-Frid), Tim Müller (Benny) und Stefan Stara (Björn) auf der Bühne entfachen.
»Dancing Queen« war im Festspielsommer 2023 der absolute Publikumsfavorit mit ständig ausverkauften Vorstellungen. Das könnte auch in dieser Spielzeit der Fall sein, weil Achim Lenz mit der Wiederaufnahme der musikalischen Revue die Begeisterung der ABBA-Fans noch ein bisschen zu toppen vermochte. Weitere Songs aus dem imposanten Fundus an greatest hits wurden mit der Revue in den Arrangements von Patrica Martin verwebt und von Dominik Müller choreografisch verfeinert. Die Erfolgsgeschichte des Quartetts, die dieser Abend Revue passieren lässt, ist eben auch eine Geschichte der emotionalen ups and downs, wie sie in den Songs zum Ausdruck kommen und in den perfekt stilisierten Auftritten spürbar werden. Wie sehr sich die vier Popikonen an der Optimierung ihrer musikalischen Produktivität und deren erfolgreicher Vermarktung allmählich erschöpften, davon erzählen diese leisen Töne in den fein abgestimmten Gesten.
Doch zunächst ist stürmischer Beifall für »Waterloo« und die erste Serie von Songs und mit einem Beatles-Abstecher angesagt. Es gibt ein biografisches Revival mit den Erinnerungen von Agneta und Anni-Frid, Benny und Björn über erste musikalische Weggefährten, die gemeinsame Aufbruchstimmung und den unnachahmlichen ABBA-Sound, den Patrica Martin in einer kleinen, aber feinen Expertise veranschaulicht. Der mehrstimmige Gesang hats in sich, erst recht, wenn die vier Stimmen kontrastriert und übereinandergeschichtet werden, wenn rhythmische und harmonische Nuancen ins Spiel kommen oder auch stilistische Abstecher, in denen Folk und Country ebenso anklingen, wie ein Latin Groove oder eine klassische Stimmung.
Mit Noraleen Amhausend und Dirk Hinzberg als Background Chor wird das stimmstarke Quartett immer wieder zum stimmstarken Sextett. Nachhaltige Wirkung verspricht auch die Ansage, »Lass Dopamin fließen!« und und das nicht nur bei »Supertrooper« oder »Take a chance«. »Dancing Queen« und »Gimme, Gimme, Gimme«. Auch in der Wideraufnahme kann Achim Lenz auf das Konzept vertrauen, mehrere Songs zu einem kleinen ABBA-Konzert zu kombinieren, um mit Szenen über die weitere Chronologie der Ereignisse auf die nächste ABBA-Bühnenshow einzustimmen. Dann ist wieder der Einsatz von Natalia Voskoboynikoa gefragt, die als umtriebige Inspizientin das Equipment an Gitarren und Mikrofonen sondiert. Zum perfekten Bühnenequipment gehört natürlich auch das perfekte optische Design, das Anja Müller mit ihren Kostümen geschaffen hat. Glamour Look und Glitter in Tüll und Seide mit ganz viel Pop-Design im Stil der 70er Jahre und einem riesigen Fundus an Plateaustiefeln.
Im Auditorium werden bereits die ersten Handy-Taschenlampen aktiviert. Zum Mitklatschen braucht es dann auch keine Aufforderung von Moderator Dirk Heinzberg. Nur zum Mitsingen fehlt den meisten dann doch der Mut, wenn es um mögliche Lieblingstitel geht und einen gemeinsamen Chor. Dafür widmet das Publikum Nadine Kühn mit dem Song »The winner takes it all« und dieser tragischen Hymne, die Patrica Martin für sie arrangiert hat, eine wunderbar sentimentale Lightshow für diesen berührenden emotionalen Show-down.
Vermutlich wird der Hinweis auf die Bühnenshow mit Atavaren, die Jahre nach der Trennung des Quartetts die ABBA-Fans für ein Sentimental Journey begeisterte, vom Festspielpublikum auch ein bisschen belächelt, dass viel lieber die Liveshow mit Nadine Kühn, Jessica Trocha, Tim Müller und Stefan Stara feiert. Gern umjubelt werden auch Dirk Heinzberg und Noraleen Amhausend für ihre stimmstarken ABBA-Soli mit den Songs »Chiquitita« und »Fernando«. Doch der Beifall lässt sich am Premierenabend noch ohne weiteres toppen, Mit der Aufforderung, die Handys jetzt für Fotos zu aktivieren und damit das Netz zu fluten, um weitere Festspielgäste für diese Show zu begeistern. Auch die möchten vermutlich zum Finale die Bühne stürmen, um mit Standing Ovations und einem »Thank you fort the music« auch die ABBA-Band mit Stephan Genze, Andreas Lakeberg, Hans-Dieter Lorenz, Michael Siskov, Martin Werner und Tomas Zander zu umarmen.