Schlafmangel, Konzentrationsprobleme, das Gefühl, nicht ganz man selbst zu sein. Man redet sich ein, es sei Stress oder eine beginnende Erkältung. Dann steht man eines Morgens auf und weiß: Irgendetwas ist anders und es hört nicht mehr auf. Der Wahnsinn kommt nicht mit Getöse. Er wartet. Beobachtet. Und dann dringt er ganz leise in jene Lücke des Geistes ein, die man ihm lässt. Genau davon erzählt »Dämon« die neue Zusammenarbeit von Jens Thomas und Matthias Brandt basierend auf der Novelle »Der Horla« von Guy de Maupassants. Am 5. Juli waren Thomas und Brandt Gast im Deutschen Theater.
Wenn der Wahnsinn leise anklopft
Ein namenloser Ich-Erzähler lebt allein in einem Haus. Anfangs noch fröhlich und lebensfroh, schreibt er seine Gedanken in ein Tagebuch. Er erzählt von seinem geliebten Haus und von der Natur, mit der er sich tief verbunden fühlt. Er strahlt dabei pure Ausgeglichenheit aus. Doch nach und nach verändern sich seine Gedanken. Der Erzähler wird krank und keine Medizin will helfen. Kleine Unregelmäßigkeiten fallen ihm auf. Wasser verschwindet, Gegenstände bewegen sich und es scheint, als folge ihm ein Schatten. In ihm wächst die Gewissheit, nicht allein zu sein. Ein unsichtbares Wesen ist in sein Leben eingedrungen und versucht ihn immer mehr zu kontrollieren. Die Vorlage von Guy de Maupassant gewinnt dabei an besonderer Schärfe und Authentizität, wenn man bedenkt, dass der Schriftsteller selbst unter Wahnvorstellungen litt.
Der Dämon wird lebendig
Matthias Brandt, Schauspieler und Autor, verleiht der namenlosen Hauptfigur seine Stimme und wechselt dabei stetig zwischen klarem Verstand und wachsender Paranoia. Seine Rezitation ist dabei bemerkenswert durchdringend und fesselnd. Mit einem Wechselspiel aus leisem Flüstern, fast schreiender Verzweiflung und fiebriger Nervosität zieht er die Zuhörer:innen tief in die beklemmende Gefühlswelt hinein und löst unbehagliches Schaudern aus.
Der Sänger und Pianist Jens Thomas ist dabei weit mehr als nur musikalische Begleitung. Er wird zum Soundarchitekt des Grusels. Während der Vorstellung spielt Thomas nicht nur Klavier, sondern singt mit beeindruckender Tonvarianz. Immer wieder bringt er improvisierte und verstörende Töne hervor, die direkt unter die Haut gehen und den inneren Wahnsinn des Erzählers lebendig werden lassen. Auch seine Bewegungen verstärken die unheilvolle Stimmung. Besonders im Gedächtnis bleibt der Moment, als er sich langsam an Matthias Brandt anpirscht, um sich hinter ihm aufzubäumen. Dadurch entstand eine körperliche Manifestation des unsichtbaren Dämons, der den Erzähler immer fester umklammert.
Wahnsinn und Klang – ein ungewöhnliches Duo
Das eng verzahnte Zusammenspiel des Duos ist daher mehr als nur Vortrag und Musik. Es ist ein Duett aus Wahnsinn und Klang, das sich gegenseitig befeuert, verstärkt und fein aufeinander abgestimmt ist. Genau das macht »Dämon« zu einem besonders intensiven Erlebnis, das Gänsehaut verspricht.
Im dramatischen Finale erreicht das intensive Miteinander seinen Höhepunkt, in dem der Erzähler verzweifelt versucht, das unsichtbare Wesen zu töten. Ein Kampf, der nicht gewonnen werden kann und in einem düsteren Eingeständnis der Ausweglosigkeit enden muss. Mit großem Applaus und Standing Ovation belohnte das Publikum den intensiven Abend, der lange nachhallt und lange nachklingt.