Dem „Sieg der Zeit und der Ernüchterung“ einen Feiertagabend zu widmen klingt eigentlich nicht nach großem Vergnügen, doch ein Händel-Oratorium mit demselben italienischen Titel trat am Donnerstagabend in der Stadthalle auf große Begeisterung. Unter der musikalischen Leitung von George Petrou boten das FestspielOrchester Göttingen und vier herausragende Solist:innen über drei Stunden musikalische Brillanz, eine dezent-elegante Inszenierung und große Emotion.
In diesem Oratorium, welches das erste Händels war, verkörperten Anna Dennis (kurzfristig eingesprungen für Louise Kemény), Emőke Baráth, Xavier Sabata und Emanuel Tomljenovic als Affekte die Allegorien der Schönheit, des Vergnügens, der Ernüchterung und der Zeit. Die Schönheit, welche zuerst vom Vergnügen geblendet war, kehrt nach Argumenten der Zeit und der Ernüchterung dieser den Rücken, um sich ganz der „wahren Erkenntnis des Himmels“ zu widmen. Der Musik wiederum merkt man dieses heilsgeschichtliche Sujet gar nicht an. Affektiert und klischeehaft sind die Allegorien dargestellt und so konnte sich das Publikum nicht nur heiter-schnellen und fehlerfrei ausgeführten Arien des „Vergnügens“ und der „Schönheit“ erfreuen. Auch das Getragene, Erhabene kam durch Tenor und Countertenor als „Zeit“ und „Ernüchterung“ zum Tragen. Das Orchester nahm sich den verschiedenen Charakterdarstellungen überzeugend und mit Leichtigkeit an. Dass es sich um ein jahrelang eingespieltes Orchester handelt, war in jedem Ton und jeder Pause zu hören, eine unzerstörbare Basis, auf der die Solist:innen mühelos brillieren konnten.
Auf das simultane Einblenden von Untertiteln des italienischen Textes, das oftmals doch nur die Blicke gefangen hält und vom Bühnengeschehen ablenkt, wurde verzichtet. Durch die Handlung, oder besser gesagt die Argumentation der Allegorien, führten große Leinwände mit einer Mischung aus beweglichen Bildern und prägnanten Inhaltszusammenfassungen. Dadurch, dass dort ebenso in Abwechslung Solist:innen und Orchester in Aktion vergrößert zu sehen waren, konnten selbst Zuhörende mit weniger glücklichen Plätzen die große Schauspielleistung und das energiegeladene Musizieren bewundern. Als „Bühnenbild“, das dem Oratorium historisch gesehen eigentlich vorenthalten ist, diente ebenso das Orchester als solches. So streiften beispielsweise Emőke Baráth als „Vergnügen“ und Anna Dennis als „Schönheit“ im Rezitativ „Questa è la reggia mia“ durch die Musizierenden, und während seines Solos kniete Dennis schauspielerisch schmachtend an der Orgel Fernando Aguados – ein simpler, doch gelungener Kunstgriff seitens der Regie.
Besonders nennenswert war die letzte der insgesamt 24 Arien: „Tu del ciel“, mit der die reuige „Schönheit“ und die erste Violine in einem zauberhaften Duett das Oratorium beendeten. Nicht nur die weiche Stimme Dennis’ und das wunderschön feine Violinspiel führten dazu, dass selbst die Orchestermitglieder den Tränen nahe waren, sondern auch die Inszenierung: Um die Wende in der Einsicht der „Schönheit“ zu verdeutlichen, stand die „Schönheit“ nun hinter dem Orchester, während Elisabeth Blumenstock, ein Urgestein des FestspielOrchesters, das erste Pult für das Violinensolo verließ und sich ganz vorne an den Rand der Bühne setzte. Tosender und anhaltender Applaus brandete in die Stille der letzten Klänge und obwohl doch das „Vergnügen“ als Besiegte schon längst die Bühne verlassen hatte, schien jeder und jede beschwingt und fröhlich wieder nach Hause zu fahren.