Comicliebhaber und Fans ausgewöhnlicher Kunstausstellungen aufgepasst! Denn vom 20. Juli bis 10. November präsentiert das Kunsthaus Göttingen die Comic- und Graphic Novel-Ausstellung »Togetherness«. Bei dieser international besetzten Gruppenausstellung wird das Thema „Zusammensein“ genau beleuchtet. Bilder aus vier verschiedenen Comics und Graphic Novels werden präsentiert, die sich mit Liebes- und Freundschaftsbeziehungen, Rollenklischees, Gendervorstellungen sowie der eigenen Identitätssuche beschäftigen. Auf zwei Etagen gibt es die Hauptwerke der Comiczeichner:innen und -autor:innen Nino Bulling (*1986, Deutschland), Lina Ehrentraut (*1993, Deutschland), Tommi Parrish (*1989, Austrailien) und Marijpol (*1982, Deutschland) zu bestaunen. Auf der dritten und letzten Etage finden die Besucher schließlich einen „Klimax“ aller Zeichner:innen, in welchem unzähliges Inspirationsmaterial, Skizzen und Storyboards ausgestellt werden. Szenen, in denen Sexualität und Nacktheit illustriert werden, gehören ebenfalls zur Ausstellung. Diese wirken aber nicht aufgedrückt und dienen als natürlicher Teil der intimen Liebesbeziehungen. Für jüngere Besucher gibt es hier eine Triggerwarnung.
Die Ausstellung beschränkt sich aber nicht nur auf Bilder, sondern zeigt, wie vielseitig das Medium Comic sein kann! Denn Comic-Figuren tauchen nicht nur auf Seiten auf, sondern auch auf Textilien oder Postern. Deshalb sieht man Cartoon-T-Shirts von Lina Ehrentraut. Und bei der Ausstellung von Marijpol kippt man vor Schreck bald um! Denn dort findet man eine gigantische Spinne im Eingang, die für einen kleinen Schock-Moment sorgt! Diese Spinne wurde von Marijpol komplett selbst designt.
„Uns ist es wichtig zu zeigen, dass Comics nicht nur in Buchform erscheinen. Comics sind große Ideenwelten! Deshalb die textilischen Objekte,“ erklärt Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin Dorle Meyer. „Comic ist ein hybrides Medium, Bild und Text. Also mussten wir sehen, wie man mit diesem Medium umgeht und wie man Comics ausstellt.“
In den Ausstellungen von Nino Bulling und Tommi Parrish wird das Lettering, also der Text abgebildet, während die Zeichnerin Marijpol nur ihre Bilder ohne Text präsentiert. Die gesamte Ausstellung gibt einen interessanten Einblick auf die unterschiedlichen Zeichenstile und Arbeitsweisen der Künstlerinnen und Künstler. So bleibt der Besuch nie eintönig. Die Aufstellung und Konstellation der verschiedenen Objekte wie Portraits oder bedruckten Quilts ist sehr interessant und anschaulich gestaltet, manchmal gibt es Szenen-Sequenzen oder Portraitbilder im Überformat zu betrachten.
Los geht es bei der Ausstellung mit Nino Bullings 2022 erschienen Comic-Buch »Abfackeln«. Hier geht es um Ingken, die sich nicht mehr als Frau fühlt und in der Partieszene versucht, eine neue Identität zu finden. Das Thema „verbrennen“ spielt eine zentrale Rolle in Bullings Buch und wird passend auf eingerahmten Comic-Panels und auch auf riesigen Quilt-Decken dargestellt. Auf einem Quilt sehen wir unter anderem brennende Motten, die nach dem „abfackeln“ wie Phönix aus der Asche wiederauferstehen. Dies ist eine Metapher für Ingkens Identitäts- und Genderwechsel. Auch viele anmutige Landschaftsbilder hat Bulling gezeichnet. Während Bulling seine Bilder Schwarz-Weiß hält und überwiegend mit Bleistift zeichnet, sieht es bei Tommi Parrish Werk »Menschen Vertrauen« etwas anders aus.
Parrish‘ Comic-Panels sind handgemalt mit Pinsel und wirken sehr farbenfroh. Seine Handarbeit erinnert an moderne Gemälde-Malereien. Auch die Herangehensweise an die Panels unterscheidet die beiden Künstler. Parrish verbindet in der Konzeptphase Bild und Text sofort miteinander, während Bulling beide Aspekte getrennt verarbeitet. »Menschen Vertrauen« (2023) handelt um die alleinerziehende Mutter Eliza, die sich mit der toxischen Sasha anfreundet. Nach und nach stellt sich die Frage, was eine gesunde Freundschaftsbeziehung ausmacht.
Das „Schräge im Schönen“ finden die Besucher schließlich im zweiten Stock, denn dort wartet die riesige lila Spinne von Marijpol. In ihrem Graphic Novel »Hort« geht es nämlich auch um drei schräge, aber sehr starke und selbstbewusste Frauen. Petra ist Bodybuilderin, Ulla ist riesig und dick und Denise hat ihren Körper mit einem Schlangenarm modifiziert. Selbstoptimierung und Ausdefinierung ist den drei WG-Bewohnerinnen wichtig, wie auch der Zeichnerin Marijpol selbst. Den Stoff der lila Spinne hat sie selbst designt und bedruckt. Der Wandkrabbler trägt sogar designte Dessous an den Beinen, sodass die Arachnide schon bald süß wirkt. Ihre Bleistift-Illustrationen werden ebenfalls in angesprühten lila Bilderrahmen aufgehängt. Neben den Schwarz-Weiß Zeichnungen aus »Hort« werden noch zusätzliche Illustrationen von Marijpol ausgestellt, die sie mit dem Computer erstellt hat. Diese sind einerseits sehr realitätsnah, andererseits sehr fantasievoll gestaltet. Darin sehen wir eine umherziehende Fee, die durch ein Schloss herumgeistert. Das Design der Fee basiert auf das Kleid einer Karl Lagerfeld-Modenschau.
Und zu guter Letzt werden noch Bilder aus Lina Ehrentrauts total abgedrehter Sci-Fi-Romanze »Malek und ich« (2021) ausgestellt. Nici, eine Wissenschaftlerin baut sich den Körper Malek, mit welchem sie in Parallelwelten reisen kann. Im Malek-Körper trifft sie auf Nici – also sich selbst- geht eine Liebesbeziehung mit ihrem Parallel-Ich ein! In Ehrentrauts Austellung sind riesige Comicpanels zu sehen, welche intime Liebesszenen und Streitereien darstellen. Da diese Panels in Übergröße sind, kommt hier viel Comic-Feeling auf. Die Gefühlswelten der Protagonisten werden in kolorierten Bildern visualisiert, ein sehr kreatives und geniales Konzept.
Wer Comic-Fan ist und komplexe Beziehungen oder Themen wie Identitätssuche spannend findet, sollte bei der Ausstellung »Togetherness« unbedingt vorbeischauen. Denn die Ausstellung zeigt gut, welche harte Arbeit Comiczeichner:innen in ihre Bücher stecken müssen, wie Zeichenstil-Findung, Konzeption der Geschichte oder Panel-Layout.