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Norbert Baensch im Gespräch mit Erich Sidler | © Photo: Wortmann
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Deutsches Theater

Von der Kompetenz, ein Theater relevant zu machen

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Feierstunde für Norbert Baensch – Laudatio von Erich Sidler im Wortlaut – Szenenwechsel: Gespräch mit Norbert Baensch
von Jens Wortmann, erschienen am 05. Dezember 2024

Sehr geehrter Norbert Baensch,

sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Oshionwu ,

liebe Kolleginnen und Kollegen ,

meine sehr geehrten Damen und Herren

wir sind heute zu dieser Feierstunde zusammengekommen, um kurz innezuhalten. 

Sie, lieber Norbert Baensch, feiern zwei wichtige Jubiläen und ich möchte an dieser Stelle persönlich und im Namen der ganzen Belegschaft des DT, sehr herzlich gratulieren. 

Sie sind nun seit 25 Jahren Ehrenmitglied des Deutschen Theaters und haben in mit Ihrem Schaffen, dieses Haus geprägt wie kein anderer Dramaturg. 

Zusammen mit der ungewöhnlich langen Dienstzeit am DT von 39 Jahren, sind Sie nun dem Deutschen Theater seit vielen Jahrzehnte verbunden.

Gleichzeitig feiern Sie einen runden Geburtstag, wie es nur wenigen Menschen vergönnt ist.

Es gibt viele Gründe, warum es mir wichtig ist, heute über Sie und Ihre aktive Zeit am Deutschen Theater zu sprechen.

Wir alle möchten an dieser Stelle ausdrücken, dass wir ihnen für die Gegenwart, Gesundheit, Freude und Zufriedenheit und für die Zukunft das Beste wünschen. 

Es ist mir heute aber auch ein Bedürfnis, den Blick einmal in die Vergangenheit zu richten.

Ich unternehme den Versuch zu beschreiben, wie wir, als zeitgenössische Theaterschaffende, die Verdienste, die Errungenschaften Ihrer Generation und im Besonderen auch Ihrer Person und Ihres Wirkens für das DT heute wahrnehmen.

Wichtig ist bei diesem Blick zu erwähnen, dass die Wirkmacht und die Bedeutung des Theaters in Deutschland, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Ihrer Schaffenszeit, eine signifikante Wendung vollzogen hat. 

Diese Wendung und Weiterentwicklung ist gerade in den Spielplänen des Deutschen Theaters Göttingen in der Zeit Ihrer Chefdramaturgie zu erkennen.

Die Spielpläne widerspiegeln das Zeitgeschehen und machen die unmittelbare Bedeutung des Theaters und die Relevanz für die Gesellschaft sichtbar.

Im Nachhinein, mit dem heutigen Wissen, wohin sich die Gesellschaft entwickelt hat, ist es immer einfach zu beurteilen, welche Impulse der Kunst einen gesellschaftlichen Diskurs befördert haben und welche nicht. 

Die Meisterschaft besteht aber darin, als Zeitgenosse Teil dieser Gesellschaft zu sein, als Chefdramaturg einer Stadt, die Transferleistung bzw. den künstlerischen Beitrag zu leisten, die Latenz von anstehenden Themen, auf der Bühne künstlerisch zu verdichten und in Impulse zu verwandeln, die den Diskurs anregen.

Für eine genauere Betrachtung, was ich meine mit Kompetenz, ein Theater relevant zu machen, würde ich gerne einen Schritt zurück machen.

Das 19. Jahrhundert ist geprägt vom wachsenden Selbstbewusstsein des Bürgertums und dessen Anspruch auf politische Mitgestaltung, 

Diese Bewegung fand in den Stücken und Spielplänen der Theater, neben gängiger Erheiterung mit leichter Muse, zusehends ihren Niederschlag.

Wenn nun im 19. Jahrhundert das Theaterschaffen mit Lessings Dramaturgie im Dienste des Aufstieges des Bürgertums stand, ist die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Aufarbeitung bzw. Verarbeitung der Kriegskatastrophe mit all seinen destruktiven, gesellschaftlich und politischen Auswirkungen.

So wurde die Bühne politisiert, der Ort Theater als Identifikation des Bürgertums in Anspruch genommen und die Bühne als Verhandlungsort der Werte einer neuen Gesellschaftsschicht genutzt.

Die Verwerfungen der Weltkriege und ein zerstörtes Land, haben zwangsläufig zu einer Neuausrichtung von Politik und Gesellschaft geführt und die Stadt- und Staatstheater vor neue Herausforderungen gesetzt.

Diese Herausforderung haben Sie angenommen – das Publikum hat dies nicht immer erwartet

In den 60er Jahren sind sie auf Heinz Hilpert und sein Deutsche Theater gestoßen.

Erst als Assistent, dann als Dramaturg, als Chefdramaturg und schließlich als künstlerischer Leiter mit Geschäftsleitungsaufgaben. 

Ein Werdegang durch den künstlerischen Betrieb von der Pike auf. 

Als Dramaturg haben sie den Prozess der Wandlung des Theaters mitgestaltet und waren schließlich als spiritus rector in der Verantwortung, den Prozess der stetigen Weiterentwicklung voranzutreiben.

Einem Ihrer Vorworte entnehme ich Ihre Richtlinie, die beschreibt die Rolle des DT als eine kritische und verständnisvolle Auseinandersetzung mit Menschen und ihren zentralen Fragen.

Zentrale Fragen wie dem Problem der Generationenfolge. 

Nach wie vor ist Generationenfolge ein wichtiges Thema von großer Relevanz.

Heute findet die Auseinandersetzung der Gesellschaft im Aufarbeiten von Rassismus, Kolonialismus, in der Frage nach hierarchiefreien Räumen etc. statt.

In den 70er und 80er Jahren gipfelte Generationenfolge beispielsweise in der Auseinandersetzung und dem Umgang mit der RAF.

Es war die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im 3. Reich, die Schuld, den Holocaust, Flucht und Vertreibung. 

Sie schreiben in einem Jahresheft als Chefdramaturg den Satz:

‚Der Spielplan des DT spricht in seiner Zusammensetzung für ein aktives dramaturgisches Konzept, das sich für mehr Offenheit, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit, für Recht und Würde der Menschen und Völker engagiert.‘

Es ging Ihnen immer auch darum, den Begriff Theater zu erweitern mit Sonderprogrammen und Autorenlesungen.

Das relevante Theater wurde von den Macherinnen und Machern, gezielt ausgeweitet, wurde von der Stätte der theatralischen Kunst zum Forum erweitert und mit einem starken Ensembletheater, konsequent zum Ort für Bewusstseinsbildung entwickelt. 

In die frühen siebziger Jahre fällt die Öffnung des DT nach Osteuropa für polnische Autoren und Theaterleute, die sie verantwortet, organisiert und befördert haben.

Im Zuge der Partnerschaftsbemühungen Göttingens mit der polnischen Stadt Thorn, gastierte das DT mit verschiedenen Produktionen und praktizierte gelebte Aussöhnung. 

Eine öffentliche Annäherung über die Kunst, über das gemeinsame Staunen über die Leidenschaften die man teil.

Ihre Programme verfolgten das Aufdecken von Schwächen und Fehlern und zeigte Unzulänglichkeiten im Zusammenleben unserer Gesellschaft auf, die wir durchschauen können und uns damit in die Lage versetzen, sie zu überwinden.

Sie haben aber auch in anderen Bereichen die Ausweitung des Theaterverständnisses vorangetrieben und Felder erschlossen, die heute nicht mehr aus der Theaterarbeit wegzudenken sind.

Das Kinder- und Jugendtheater am DT wird von Ihnen initiiert und aufgebaut.

Mit großem Respekt nehmen wir wahr und ist uns bewusst, dass wir heute auf diesem Fundament aufbauen und unsere Arbeit geprägt ist von herausragenden und verdienstvollen Errungenschaften des DT in den vergangenen Jahrzehnten, die auf Sie und ihr Team von Dramaturginnen und Dramaturgen zurückzuführen ist. .

Daher möchte ich Ihnen danken für ihre Arbeit für das Deutsche Theater Göttingen! 

Ich möchte mit dieser Feierstunde Ihre Leistungen für dieses Haus würdigen.

Aufmerksamkeit ist heute zu einer Währung geworden, mit der auch wir umgehen müssen.

Soziale Medien verändern unser Verhalten und unsere Wahrnehmung.

Sie beeinflussen auch die Kunst und das Theater. 

Es wird nicht einfacher für das Theater, was Stille, Besinnung, Kontemplation, Fokus, Konzentration braucht.

Früher war alles besser ist natürlich eine unzulässige und undifferenzierte Aussage. Vieles war früher aber auch nicht schlechter! 

Soviel lässt sich sagen.

Es ist mir ein persönliches Anliegen 

  • Ihnen, 
  • aber auch allen Göttingerinnen und Göttingern
  • und im Besonderen auch den Menschen, die gegenwärtig und künftig dieses Haus gestalten dürfen, 

zu spiegeln:

Sie haben die seltene Kombination mitgebracht, 

  • aus Fachwissen, Expertise, Begabung, Leidenschaft, Hingabe, Intuition für das Theater, was die Gegenwart brauchte 
  • gepaart mit Ihrer Bescheidenheit lieber Norbert Baensch, die sie ebenfalls ehrt! 

Ich sehe in Ihrem Schaffen eine Bescheidenheit immer im Wissen, dass es in ihrem Umfeld natürlich Alphatiere gab, 

  • Menschen, die sich mehr herausgenommen haben, als ihnen zusteht, 
  • Menschen die auf Kosten anderer Profilierung gesucht und teils gefunden haben,

Es ist in der Recherche schnell klar, dass Sie ihren Platz stets in der zweiten Reihe gesehen und eingerichtet haben.

Dass Sie sich hinter die Kunst, die im Rampenlicht glänzt, eingereiht haben.

Es ist aber letztlich ganz folgerichtig, dass sie dieses Haus in den Jahren 1997 bis 99 als Intendant, künstlerischer Leiter und Geschäftsführer geleitet haben.

Und letztlich ist die Haltung, die ich in all ihrem Schaffen und Gestalten 

am Deutschen Theater erkenne, gelebte Demut. 

Demut vor dem Privileg, Theater als Lebensinhalt haben zu dürfen.

Demut vor der Verantwortung und der Aufgabe.

Demut vor dem Theater und seiner Geschichte, 

Demut vor dem Publikum.

Demut, ein Wort was leider in unserer Zeit nicht mehr verstanden werden will, was gar verspottet wird und da liegt vielleicht gerade des Pudels Kern.

…Oder einer davon…

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit

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