In der Porträtserie der Musiker:innen aus dem Göttinger Symphonieorchester hat sich Kulturbüro-Autorin Christiane Goos mit dem Klarinettisten Matthias Mauerer getroffen.
Es waren mehrere Stationen auf dem Weg, der den Klarinettisten des Göttinger Symphonieorchesters Matthias Mauerer nach Göttingen führen sollte – Stationen voller Bereicherung und Entwicklung, immer begleitet von der klaren Erkenntnis und dem natürlichen Impuls, dass der Beruf des Musikers genau der richtige für ihn sei.
Geboren und aufgewachsen in Weiden in der Oberpfalz, der Geburtsstadt des Komponisten Max Reger, entfachte in einer der dort zahlreich vertretenen Blasmusikkapellen seine frühe Leidenschaft für die Klarinette und ebenso seine Neugier, immer wieder neue Facetten dieses so vielfältigen Instruments zu erkunden. „Ich bin relativ früh zur Klarinette gekommen und bin da irgendwie hineingewachsen. Ich fand es so faszinierend und bin auch immer dabei geblieben.“ Nach und nach fand er in der Musik seine ganz eigene Sprache, der er in Konzerten mit sichtbarer Begeisterung Ausdruck verleiht.
„Ich bin total sicher, dass es die richtige Entscheidung war!“
In seiner Familie stand die Musik nicht im Mittelpunkt, Matthias Mauerer war der Einzige, der für sich eine intensive Verbindung zur Musik herstellte und sich einem Instrument widmete – „Ich habe das so ein wenig durchgeboxt“. Seine Eltern rieten ihm nie von der Musik ab, sie unterstützten ihn, ermöglichten ihm den Unterricht, „aber ich glaube, sie hätten nie damit gerechnet, dass ich es als Beruf ernsthaft anstreben würde“, bemerkt er. Sein älterer Bruder wurde Pharmazeut, und seine Eltern hätten eher vermutet, dass sich auch ihr jüngerer Sohn in diese Richtung orientieren würde, denn einen Studienplatz für Pharmazie habe Matthias Mauerer schon fest gehabt – und um ein Haar hätte er diesen auch angenommen. Doch das Schicksal entschied anders und reagierte mit einer Zusage für einen Platz an der Kölner Musikhochschule, wo er sich parallel beworben hatte. Die Entscheidung, sich auch beruflich der Musik zu widmen, habe Matthias Mauerer ganz klar für sich getroffen und auch heute bereut er seine Wahl nicht: „Ich bin total sicher, dass es die richtige Entscheidung war“, betont er. Klar könne man immer überlegen – was wäre wenn? – „aber diese Liebe für die Musik, das Instrument, hat mich eigentlich immer durch alles hindurch getragen und das ist auch jetzt noch so. Die Beschäftigung mit der Materie, mit der Musik, mit dem Material, das Handwerkliche, und auch der Hintergrund – es ist so vielfältig, das ist ganz toll für mich!“
Entschlossen und zielstrebig ging es dann auch im Studium weiter, „das hatte geklappt“. Es folgten eine unglaublich bereichernde Zeit und im Anschluss viele Zeitverträge, unter anderem in Karlsruhe am Theater, in Freiburg, in München bei den Philharmonikern und in Kassel an der Oper – doch dann führt ihn sein Weg schließlich nach Göttingen - „und irgendwie hat es dann in Göttingen mit einem festen Vertrag geklappt – ich bin sehr froh, dass ich hier bin!“
Die Klangwelt der Klarinette
Doch was genau ist es, was Matthias Mauerer am Klang der Klarinette so fasziniert? Voller Begeisterung erklärt er: „Es war von Beginn an die Tongebung, Tonumfang und die Möglichkeiten, die man hat mit dem Instrument. Es ist einfach sehr flexibel. Natürlich komme ich aus dem Blasmusikumfeld, da spielt man mit dem Blechblasinstrument eine eindeutigere Rolle, als Signal oder als großer Satz. Aber es sind auch die technischen Möglichkeiten, prägnant zu spielen, die Möglichkeit, Pianissimo spielen zu können oder laute Fortissimo. Diese ganzen Möglichkeiten auszuspielen und auszuloten – das hat mich schon immer sehr fasziniert.“ Es gebe auch eine enorme Vielfalt und Bandbreite an Literatur dafür, von den Stücken der italienischen Klarinetten-Virtuosen, über Opern bis hin zu Paraphrasen, erklärt er begeistert – oder eben auch die ganze klassische Literatur von Mozart und Beethoven, wo man auch Kantilenen hat, und die ganz auf Klanggebung und gesangliche Art angelegt sind. „Es ist einfach toll, weil es so vielfältig ist.“
Man habe mit der Klarinette die Möglichkeit, dem Instrument gewissermaßen eine Stimme zu verleihen. „Ihr Klang hat etwas stimmenähnliches, man kann wirklich eine Farbe erzeugen, die einen berührt, das ist eigentlich das, was ich am meisten schätze an der Klarinette – es ist die Flexibilität, sehr weich, sehr gesanglich zu sein – und so haben es die Komponisten eigentlich am meisten eingesetzt. Aber der Stimme ähnlich heißt auch, dass es in die Extreme gehen kann – so kann es auch mal ein Schreien sein – es ist immer das Vokale, das Menschenähnliche würde ich sagen. Trotz des großen Ambitus, weil er viel größer ist als der der menschlichen Stimme, ist diese Farbe - die Möglichkeit, Kantilenen so anzulegen, das was ich am berührendsten finde.“
Was spielen Sie am liebsten?
Auf meine Frage antwortet Matthias Mauerer mit einem Schmunzeln: „Das was man gerade spielt, finde ich immer am besten. Aber insbesondere für die Klarinette und von den orchestralen Werken her, faszinieren ihn am meisten die frühen Tondichtungen von Arnold Schönberg – „gerade die ganze Tonsprache, die Möglichkeit, was man da alles erkunden kann – da ist es eindeutig Schönberg!“ Die Grundbausteine seien allerdings auch Mozart und Beethoven, man komme um sie nicht herum, weil sie so herausragend seien.
Und es gab nie eine Alternative zur Klarinette?
„Richtig, ja“, bestätigt er sofort, „es hat mich auch selbst überrascht, aber ich habe das am Anfang ausgesucht und es war irgendwie immer klar, ohne dass ich darüber nachgedacht habe.“ Seit er auf der Klarinette seinen ersten Ton erzeugte, habe es ihn irgendwie gefangen, ohne dass er reflektiert habe. „Es hat Spaß gemacht und ich bin auch dabei geblieben – natürlich hat man Höhen und Tiefen, aber es hat einfach gepasst.“
„Die Möglichkeit, Menschen erreichen zu können“ – Begleitende und prägende Persönlichkeiten
Auf meine Frage, ob es bestimmte Erlebnisse und Persönlichkeiten gab, die für ihn impulsgebend und beeinflussend waren, wird Matthias Mauerer etwas zögerlich und geht noch einmal in sich:
„Es ist schon so, dass mir immer am meisten Spaß gemacht hat, Musik für Menschen zu machen – also Menschen zu erreichen, mit meiner Klarinette und mit meinen Möglichkeiten am Instrument. Was mich auf den Weg zur Musik gebracht hat, waren tatsächlich die Konzerte – es fing mit einem kleinen Vorspiel an. Es gab es immer Vorspielmöglichkeiten, und die Lehrer, die ich damals hatte, haben mich immer sehr gut begleitet und vorbereitet. – Ich habe da ganz viele schöne Erlebnisse gehabt.“
Sowohl im sozialen Bereich, zusammen in einer Gruppe mit Gleichaltrigen habe ihm das Musizieren Spaß gemacht, aber dann eben auch immer bei den Vorspielen. „Das ist eigentlich der Grundkern, mit dem Medium Klarinette, mit meinen Möglichkeiten, Menschen erreichen zu können, das ist eigentlich das, was ich am schönsten finde und auch das, was mich am meisten an dem Beruf als Musiker hält.“ Man könne so tolle Literatur, Stücke und einfach Musik präsentieren, aber eben vor allem versuchen, den Menschen eine Geschichte zu vermitteln und sie nachempfinden zu lassen, wenn sie offen dafür sind. Das sei auch etwas gewesen, worauf seine Lehrer immer sehr viel Wert gelegt hätten - von Anfang an zu versuchen, „etwas zu vermitteln, einen wirklichen Inhalt und das nicht als Show, sondern authentisch“.
Eine sehr prägende Begegnung hatte Matthias Mauerer während seines Aufbaustudiums in Stuttgart. Sein damaliger Professor, Norbert Kaiser, hat ihm noch einmal viele neue Impulse gegeben: „Er hat mir eine neue Welt aufgeschlossen und war mir von der Persönlichkeit her, von der Art wie er mit uns Schülern arbeitete und dem Wissen, das er hatte, ein wichtiger Mentor, auch über die Musik hinaus. Das hat mir ganz neue Impulse gegeben und motiviert, noch tiefer einzutauchen. Er war ein ganz toller Pädagoge, ein toller Mensch. Das war wirklich jemand, der mich ganz stark beeinflusst und mich weiter gebracht hat.
„Wir haben die Zeit vergessen und einfach nur Musik gemacht“
Einen Gleichgesinnten fand Matthias Mauerer in dem Gitarristen Vladimir Gorbach, mit dem er viele Konzerte gespielt hat und sich dem Erforschen von Klang und Melodie hingeben konnte: „Wir haben ganz viel querbeet Literatur gemacht, und das Studium damit ein wenig finanziert. Wir haben aber auch in Waisen- und Krankenhäusern gespielt.“ Gorbach käme zwar mit seinem Instrument aus einer ganz anderen Richtung, doch sei es von der Art Musik zu machen, von der Konzentration und auch von der Persönlichkeit her, unheimlich bereichernd gewesen, mit ihm zu arbeiten. Es handelte sich bei den beiden nicht um den Austausch instrumentaler Techniken, sondern vielmehr darum, einfach Musik zusammen zu machen und in den Fokus, in einen gemeinsamen musikalischen Fluss hineinzukommen – die Chemie stimmte ganz einfach zwischen den beiden. „Das waren die ersten Konzerte, die wirklich so vorbeigingen, ohne dass ich dachte, jetzt kommt das nächste Stück oder das nächste Blatt“, erinnert sich Matthias Mauerer dankbar, „es war eine sehr schöne Zeit!“. Gorbach lebt heute in den USA und hat dort eine Professur. Er ist viel unterwegs. Vielleicht finden die beiden einmal wieder zueinander – ich wünsche es ihnen.
„Es entsteht immer eine Geschichte“
Natürlich interessiert mich auch, was genau Matthias Mauerer an klassischer Musik so fasziniert:
„Trotz all dieser Strukturen und Formen, die eigentlich immer überwiegend vorgegeben sind und in denen sich die Komponisten bewegen, entsteht immer eine Geschichte – es ist immer ein individuelles Stück mit einer eigenen Handlung, die in dieser Form zu leben beginnt oder funktioniert. So haben sich die großen Komponisten wie Mozart in diesem vorgegebenen Konstrukt fast schlafwandlerisch sicher bewegt, und trotzdem immer ein neues Stück geschaffen, mit einer eigenen erzählerischen Dynamik – das finde ich unglaublich toll! Wenn man weiß, was technisch dahinter steht, dann ist es eine ganz besondere Wirkung – es ist schöne Musik, die einen berührt, das ist das, was mich so fasziniert. Die Mahler-Symphonie zum Beispiel sei eine mächtige Geschichte, ein Roman, mit so vielen Personen, vielfältig und schillernd, die expressionistisch erzählt werde – „Und dann mit dem eigenen Instrument ein Teil davon zu sein, das ist faszinierend und toll!“ schwärmt er.
Im Alltag ist Matthias Mauerer hingegen offen für viele verschiedene Musikrichtungen, eigentlich alles, wenn es gut gemacht sei – Rock, Pop, Hip Hop, auch Heavy Metal war schon dabei – doch komme er letztlich immer wieder zur Klassik zurück, weil es den Kern treffe, dort finde er sich wieder und es sei das, was ihn am meisten berühre.
Und der Ausgleich?
Während Matthias Mauerer in früheren Jahren sehr auf das Üben fokussiert war, habe sich das seit seiner Ankunft in Göttingen geändert. Gelesen habe er schon immer gerne, aber gerade hier habe er sehr viel Freude und Spaß am Joggen und legt auf längeren Touren einige Kilometer zurück: „Vielleicht hat es auch ein wenig mit Göttingen zu tun oder weil ich jetzt weiß, dass ich hier wirklich angekommen bin.“ Das Glück, mit seiner Familie nah am Wald zu leben, schätz er dabei sehr: „Das ist für mich ein super Ausgleich, wenn ich dann rauskomme in die Natur und einfach andere Geräusche höre – der Wald, die Natur, Luft und Sonne, das Wetter, das gerade ist – und dann zu hören, was an Naturgeräuschen existiert.“ Göttingen war für Matthias Mauerer als er herkam vollkommen neu, doch habe er sich von Anfang sofort wohl gefühlt.
Früh übt sich – Musik in der Familie
Gemeinsam mit seiner Frau kam er nach Göttingen. Auch sie teilt als freischaffende Klarinettistin die Leidenschaft für Musik und das gemeinsame Instrument. Kennengelernt haben sie sich schon früh im Jugendorchester während des Studiums. Auch innerhalb der Familie spielt die Musik dadurch eine intensive Rolle. Beide Kinder leben die Musik und die Musikalität im Familienalltag mit, beide nähern sich spielerisch und mit Neugier dem Musizieren an. Matthias Mauerers kleine sechsjährige Tochter lernt inzwischen Klavier. Auch der kleine vierjährige Sohn stöbert bereits durch die Box mit Musikinstrumenten. Ehrgeiz, ihre Kinder zur Musik zu bringen, verfolgen Mauerer und seine Frau dabei jedoch nicht. Früher spielte das Paar gemeinsam in einem Trio. Leider fehlt momentan die Zeit, bedauert Mauerer ein wenig, doch sobald die Kinder größer seien und mehr Zeit bliebe, wünschen sie sich eine Fortsetzung.
Eine schöne, ganz neue Erfahrung machte Matthias Mauerer am letzten Weihnachtsfest, an dem das erste Mal auch seine Tochter ihre ersten Weihnachtslieder auf dem Klavier spielen konnte: „Wir haben jetzt zum ersten Mal zusammen gespielt und das hat mich schon sehr berührt; der Kleine spielte mit Triangel und Holzblöcken dazu - es ist schön, das als Familie zusammen machen zu können! Es ist eine neue Verbindung und Nähe, die man da hat.“
Hier in Göttingen habe er sich von Anfang an gleich wohl gefühlt, reflektiert Matthias Mauerer – er sei angekommen – in der Stadt und im Orchester. Auch wenn unser Gespräch coronabedingt nur am Telefon stattfinden konnte, ist seine Leidenschaft und Begeisterung für die Musik für mich deutlich spürbar. Matthias Mauerer ist, so scheint es mir, immer wieder offen für neue Entdeckungen und Erfahrungen – für die Musik, für sein Instrument. Stetig öffnet er sich neuer Transformation und begegnet, ja erforscht den Klang mit Neugier, Leidenschaft und auch frischem Anfängergeist – ich wünsche ihm, das, dass er sich genau das weiterhin bewahrt und das Publikum daran teilhaben lässt.
Alles Gute und herzlichen Dank für das bereichernde Gespräch Herr Mauerer!