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Orgeln in Göttingen

Die letzte weltliche Orgel Göttingens

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Heute: Die Ott-Orgel in der Aula am Waldweg
von Arne zur Nieden, erschienen am 13. Juli 2021

Seit der letzten Folge über die Göttinger Orgellandschaft ist viel Zeit vergangen. Umso mehr freue ich mich Ihnen heute ein besonderes Instrument vorstellen zu können, das nicht nur die letzte „weltliche“ Orgel in Göttingen ist (von einigen Hausorgeln abgesehen), sondern auch absehbar aus der Stadt verschwinden und hoffentlich an anderem Ort eine neue Aufgabe erhalten wird. Heute geht es um die Orgel in der Aula der ehemaligen Pädagogischen Hochschule am Waldweg.

Die Lehrerausbildung in Niedersachsen fand früher nicht, wie heute, im Rahmen des universitären Studiums statt, sondern an eigenständigen Pädagogischen Hochschulen (PH). So wurde auch in Göttingen 1946 eine solche PH gegründet, die in den 1960er Jahren in den neu erbauten Komplex am Waldweg zog. Zum damaligen Studienangebot gehörte auch die Schulmusik, weswegen für die Instrumentalausbildung zahlreiche Übemöglichkeiten, unter anderem auch Übe- und Unterrichtsorgeln eingeplant wurden. Und natürlich gehört zu solch einem Gebäudekomplex in den 60er Jahren auch eine Aula mit Bühne und einer Konzertorgel. 1978 verlor die PH ihre Eigenständigkeit und wurde in die Georg-August-Universität integriert, in den 80er Jahren wurde dann die Schulmusiker-Ausbildung eingestellt. In den letzten Jahren und Jahrzehnten sanierte die Uni die Gebäude am Waldweg (u.a. von Asbest), wodurch nach und nach alle Instrumente aus Übezellen und Seminarräumen verkauft wurden. Als Einziges blieb bis heute die große Orgel in der Aula stehen, auch wenn man diese nur noch selten nutzte. Altersbedingte Verschmutzungen und Materialermüdung machen auch vor einem in einem konstant temperierten Raum stehenden Instrument nicht Halt. So fiel vor ein paar Jahren die größte Prospektpfeife aus dem Gehäuse heraus, weil die schwere Zinnpfeife unter ihrem eigenen Gewicht eingesackt war und so den Halt verloren hatte – Kein ungewöhnliches Problem aber eines, das behoben werden muss. So kam es, dass das Gebäudemanagement der Universität die für eine Restaurierung und Unterhaltung notwendigen und nicht unerheblichen Geldsummen nicht aufbringen will und kann – vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es circa dreimal im Jahr Nutzungsanfragen gibt durchaus verständlich – und das Instrument nun verkaufen möchte.

 

Umso mehr freue ich mich, dass ich diese Orgel noch einmal dokumentieren und Ihnen hier in diesem Rahmen vorstellen kann. Denn sie ist nicht nur die letzte weltliche Orgel Göttingens, sondern auch die letzte unveränderte große Ott-Orgel der Stadt. Und so möchte ich Sie heute auch mit auf die Spur des typischen Ottischen Klanges nehmen.

Die Orgel wurde 1966 gebaut und hat 24 Register auf zwei Manualen und Pedal. Die Manuale teilen sich auf in ein Hauptwerk über dem Spieltisch sowie ein Schwellwerk – also ein Werk in einem Kasten, bei dem sich durch Bewegen des Fußtrittes zur Regelung der Lautstärke Lamellen öffnen und schließen lassen – rechts des Spieltisches zum Publikum ausgerichtet. Das in Eiche furnierte Gehäuse ist gänzlich mit Rechtecken und Quadern gestaltet und fügt sich so perfekt in die schlichte, sachliche und ebenfalls in Eiche gehaltene Ausstattung der Aula ein. Im Bereich des Spieltisches finden sich stehendes Nussbaum-Furnier und einfach gehaltene Registerbeschriftungen in serifenloser Schrift. Rein optisch ist das Instrument also ein echtes Kind seiner Zeit, das dabei aber durchaus stimmig und für den Spieler auch hochwertig wirkt.

Auch die Disposition, also die Zusammenstellung der Klangfarben, ist typisch für Ott und die Bauzeit sehr „steil“. Das heißt, es gibt relativ wenige Klangfarben in den tieferen Lagen, dafür aber ein vielfältiges Angebot an hohen Registern und sogenannten Aliquoten – das sind Klänge zum Beispiel in Quint- oder Terzlage über dem gespielten Ton, die das Obertonspektrum erweitern und dadurch den einzelnen Ton färben. So fallen zum Beispiel im Pedal mit den Registern Rauschpfeife 2-fach und Mixtur 4-fach zwei Mixturstimmen ins Auge – bei einer Orgel dieser Größe bemerkenswert!

 

Die Disposition:

Orgeln Folge5 Bild 05I. Manual: Hauptwerk: C - g³
1. Quintade 16’
2. Prinzipal 8’ (Prospekt)
3. Hohlflöte 8`
4. Oktave 4’
5. Spillflöte 4`
6. Mixtur 4-6fach
7. Nasat 2 2/3´
8. Gemshorn 2`
9. Trompete 8`

II. Manual: Schwellwerk: C – g³
10. Holzgedackt 8’
11. Rohrflöte 4’
12. Prinzipal 2’
13. Zimbel 2fach
14. Terz 1 3/5`
15. Quinte 1 1/3`
16. Krummhorn 8’
Tremulant

Pedal: C - f'
17. Subbaß 16’
18. Oktave 8’ (Prospekt)
19. Gedackt 8’
20. Oktave 4’
21. Rauschpfeife 2fach
22. Mixtur 4fach
23. Trompete 4`
24. Posaune 16`

Koppeln: II an I / II an Pedal / I an Pedal

Wichtig für den typischen Klang einer Ott-Orgel ist aber vor allem die Intonation der einzelnen Pfeifen. Anders als z.B. bei Streichinstrumenten oder Sängern meint „Intonation“ im Orgelbau nicht die Abstimmung der Tonhöhe, sondern die klangformenden Faktoren wie den Obertonaufbau oder das Ansprechen des Tones. In den 1960er Jahren setzte man ganz im Sinne der Orgelbewegung auf die sogenannte Kernspaltenintonation mit offenen Pfeifenfüßen und niedrigem Winddruck. Das bedeutet, dass die Öffnung am unteren Ende der Pfeife (Fußloch), durch die der Wind in die Pfeife einströmt, so groß wie möglich gelassen wird, dafür aber die Kernspalte, also der schmale Schlitz, der den Wind an der Unterkante des Labiums zu einem Luftband formt, das dann auf das Oberlabium trifft und dort eine Schwingung erzeugt, sehr eng bleibt. Dies, in Kombination mit einem niedrigen Winddruck, führt zu einem eher gepressten, dafür aber sehr obertonreichen Klang mit starkem und deutlich hörbarem Geräusch beim Ansprechen der Pfeife. Für die Wiedergabe von barocker Musik mit polyphonen Strukturen ist dieser transparent-perkussive Klang von Vorteil – man denke nur an den mit ähnlichen Eigenschaften zu beschreibenden Klang eines Cembalos.

In den folgenden Klangbeispielen, in denen ich, passend zum weltlichen Instrument, mit Variationen über ein bekanntes Volkslied versucht habe, möglichst viele Registrierungen zu verwenden, kann man diesen perkussiv-geräuschhaften und obertonreichen Grundklang der Orgel gut erkennen. Vor allem die Pinzipal- und Flötenregister in 8' und 4'-Lage zeigen starke Ansprechgeräusche, die die Prinzipale fauchen und die Flöten fast xylophonartig spucken lassen.

Bitte beachten Sie, dass das Instrument in verhältnismäßig schlechtem Zustand ist und seit Jahrzehnten nicht mehr gestimmt wurde!

 

Klangbeispiele

Beispiel 1:
Hauptwerk: Prinzipal 8', Oktave 4', Nasat 2 2/5', Gemshorn 2'
Pedal: Subbaß 16', Oktave 8', Oktave 4'

Beispiel 2:
Hauptwerk: Prinzipal 8', Oktave 4', Nasat 2 2/5'
Schwellwerk: Holzflöte 8', Rohrflöte 4'
Pedal: Subbaß 16', Gedackt 8'

Beispiel 3:
Hauptwerk: Hohlflöte 8', Spillflöte 4', Gemshorn 2'
Schwellwerk: Holzflöte 8', Rohrflöte 4'

Beispiel 4:
Hauptwerk: Spillflöte 4'
Schwellwerk: Rohrflöte 4'

Beispiel 5:
Hauptwerk: Hohlflöte 8'
Schwellwerk: Krummhorn 8', Tremulant
Pedal: Subbaß 16', Gedackt 8'

Beispiel 6:
Hauptwerk: Quintade 16', Prinzipal 8', Hohlflöte 8'

Beispiel 7:
Hauptwerk: Trompete 8'
Pedal: Subbaß 16', Gedackt 8'

Beispiel 8:
Pedal: Subbaß 16', Oktave 8', Oktave 4', Rauschpfeife 2fach, Mixtur 4fach, Posaune 16', Trompete 4'

Beispiel 9:
Hauptwerk: Hohlflöte 8'
Schwellwerk: Holzgedackt 8', Rohrflöte 4', Prinzipal 2', Terz 1 3/5', Quinte 1 1/3', Tremulant
Pedal: Subbaß 16, Gedackt 8'

Beispiel 10:
Hauptwerk: Quintade 16', Prinzipal 8', Oktave 4', Nasat 2 2/3', Gemshorn 2', Mixtur 4-6fach
Schwellwerk: Holzgedackt 8', Rohrflöte 4', Prinzipal 2', Quinte 2 2/3', Zimbel 2fach
Pedal: Subbaß 16', Oktave 8', Oktave 4', Mixtur 4fach, Posaune 16', Trompete 4'
Koppel II/I

 

Ich hoffe, dass sich für dieses für Paul Ott und die Orgelbewegung so charakteristische Instrument eine Zukunft mit mehr Wertschätzung und stärkerer Nutzung an anderem Ort findet. Die Zeiten, in denen in jede größere Aula und jeden kleineren Konzertsaal eine Orgel gehörte, sind wohl definitiv vorbei und auch in Göttingen wird sich bald die Letzte ihrer Art verabschieden.

Herzlich gedankt sei Herrn Kern vom Gebäudemanagement der Universität, den Hausmeistern im Waldweg 26 sowie dem Orgelbauer Ingo Kötter für ihre Unterstützung und viele Informationen.

Anmerkung der Redaktion:
Inzwischen ist die Orgel aus dem Saal entfernt worden.

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