Die neue Klop-Truhenorgel in St. Jacobi | © Photos: zur Nieden
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Orgeln in Göttingen

Gedackt und Prinzipal – alles aus Holz

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Klop-Truhenorgel in St. Jacobi
von Arne zur Nieden, erschienen am 03. April 2022

Ein neues Musikinstrument ist immer etwas Besonderes, eine neue Orgel erst recht. Im Jahr 2020 hatte ich als Assistent von Jacobikantor Stefan Kordes das große Glück, direkt in die Vorüberlegungen, die Auswahl und schließlich auch die Einweihung eines solchen nagelneuen Instrumentes involviert zu sein. Heute stelle ich Ihnen die Truhenorgel der Jacobikirche vor – die wohl zurzeit neueste Orgel Göttingens.

Bei einer Truhenorgel handelt es sich um ein sogenanntes Positiv. Das hat nichts mit einer gesunden Lebenseinstellung oder dem unerfreulichen Resultat eines Corona-Tests zu tun, sondern leitet sich vom lateinischen Wort „ponere“, also „hinstellen“ ab. Damit grenzt man dieses größere Instrument gegen das im Mittelalter gebräuchliche „Portativ“ ab, das, dem lateinischen Wort „portare“ für „tragen“ entsprechend, meist vom sitzenden Spieler auf die Knie gestellt und dort gespielt wurde. Ein Positiv ist allerdings durchaus auch mobil und tragbar, aber nur von mehreren Personen.

Eingesetzt wurden solche Instrumente in früherer Zeit im Rahmen von Hausandachten oder auch zu weltlichen Anlässen, bei Prozessionen und nicht zuletzt, und vermehrt mit der Einführung des Generalbasses, in musikalischen Ensembles aller Art. Die universelle Notation des Generalbasses mit Ziffern unter der Bassstimme erlaubte den Einsatz aller Instrumente, die zum Spiel von Harmonien und Akkorden fähig waren, seien es Lauten, Harfen oder eben jegliche Form von Tasteninstrumenten. Trotz dessen, dass auch Orgelpositive einen beträchtlichen Anteil an der Generalbasspraxis des Barocks gehabt haben dürften, sind verhältnismäßig wenige originale Kleinorgeln dieser Zeit erhalten. Wahrscheinlich ist ihnen, anders als den reichhaltiger überlieferten Großorgeln der Zeit, ihre Mobilität zum Verhängnis geworden und sie wurden zuerst nicht mehr gebraucht, dann weggestellt und schließlich entsorgt. Interessanterweise ist in der Instrumentensammlung des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität in Göttingen eine solche Kleinorgel mit drei Registern aus dem 18. Jahrhundert erhalten, wenn auch nur im Magazin in unspielbarem Zustand.

Mit der Wiederentdeckung der Alten Musik im frühen 20. Jahrhundert wuchs auch wieder das Interesse an Kleinorgeln, sodass Orgelbauer wie Paul Ott vor allem nach dem zweiten Weltkrieg eine große Menge an solchen Instrumenten bauten. Meist in den Ausmaßen eines gewöhnlichen Klaviers gehalten und mit einem angehängten Pedal versehen, sind diese Orgeln zuverlässig wie ein VW Käfer, aber auch schon wieder den heutigen Anforderungen an ein Generalbassinstrument nicht mehr entsprechend.

Heutige Barockorchester spielen auf historischen Instrumenten oder deren Nachbauten in unterschiedlichen Stimmtonhöhen und historischen Stimmungen und in variablen Aufstellungen. Dazu braucht der Organist, der den Generalbass spielt, ein Instrument, dass sich nicht nur leicht bewegen lässt, sondern bei dem man ebenso leicht die Tonhöhe ändern kann, das in kurzer Zeit in eine andere Stimmung umstimmbar ist und das nicht zuletzt einen guten Kontakt zu den anderen Mitspielern ermöglicht. So hat sich in den letzten Jahrzehnten für diesen Zweck die Bauform der Truhenorgel etabliert. Dafür werden alle Komponenten und Pfeifen der Orgel in einen tischhohen Kasten gesteckt. Vielleicht können Sie sich vorstellen, dass die Konstruktion eines solchen Instrumentes alles andere als einfach ist. Es ist ungefähr so, als müssten Sie Ihren Geschirrschrank in der Küche ausräumen und alle Teile, vom Kochlöffel bis zum Sonntagsporzellan, in einen großen Umzugskarton packen, ohne, dass die Goldrandtasse einen Sprung bekommt und sich die Kuchengabeln mit dem Schneebesen verhaken. Bei einer Truhenorgel muss der Orgelbauer darauf achten, dass die Mechanik zuverlässig funktioniert, die Pfeifen auch beim Transport an ihrem Platz bleiben, die kompakte Bauweise nicht zu physikalischen Beeinflussungen der Pfeifen untereinander führt, dass man zum Stimmen noch bequem an jede Pfeife herankommt und, nicht zuletzt, dass man das Ganze dann auch noch mit einer überschaubaren Zahl an Helfern transportieren kann.

Ein ausgewiesener Spezialist für diese Instrumente ist der Orgelbaubetrieb Klop aus dem Niederländischen Garderen, ungefähr mittig zwischen Amsterdam und der deutschen Grenze gelegen. Gerrit C. Klop (1935-2018) arbeitete zunächst als Chemiker und baute nebenher nicht nur erste Klavichorde und Cembali, er studierte auf seinen Dienstreisen auch die Originalinstrumente in den Museen in ganz Europa. 1966 machte er dann sein Hobby zum Beruf und traf mit seinen an historischen Vorbildern orientierten Instrumenten genau den Nerv der Zeit, in denen Musikerpersönlichkeiten wie Gustav Leonhardt und Frans Brüggen begannen, Alte Musik auf historischen Instrumenten aufzuführen und einzuspielen. Später kamen zu den Cembali und Klavichorden auch noch Kleinorgeln, ab 1988 auch Kirchenorgeln ins Portfolio. Nahmen diese zu Beginn nur etwa 20% der Arbeiten ein, sind Orgeln heute mit ca. 80% das mit Abstand wichtigste Betätigungsfeld der Firma Klop. 1995 übergab Gründer Gerrit Klop den Betrieb an seinen Sohn Henk, seit 2014 stieg auch sein Enkelsohn Niels mit ein. Dazu arbeiten zehn Mitarbeiter an den Instrumenten, die heute vornehmlich in die ganze Welt geliefert werden.

                               Ein zentrales Merkmal aller Klop-Orgeln, egal ob Truhen-, Haus oder Kirchenorgel, ist die ausschließliche Verwendung von Holzpfeifen. Diese sind nicht nur unempfindlicher beim Transport, sondern lassen sich auch wesentlich leichter und materialschonender stimmen. Die Truhenorgeln von Klop sind in ihrer Form quasi aus dem „Baukasten“ und somit einfacher, schneller und auch günstiger zu bauen. Das mag im ersten Moment nach Massenproduktion klingen, ist aber bei, wie oben beschrieben, in der Konstruktion sehr heiklen Truhenorgeln ein großer Vorteil, da man auf ein hundertfach bewährtes Konzept zurückgreifen kann, bei dem über die Jahrzehnte alle Probleme und Nachteile ausgeräumt werden konnten. Das Wissen darum und vor allem die positiven Erfahrungen mit der in den letzten Jahren mehrfach ausgeliehenen Klop-Orgel der Albanikirche (Baujahr 1989) führten auch in St. Jacobi zu dem Wunsch, ein solches Instrument für den Einsatz als Generalbassorgel anzuschaffen. Über Jahre wurden dafür Spenden gesammelt, die schon einmal der Grundstock für eine „Basisversion“ waren. Durch die sehr großzügige Unterstützung der Stiftung Dirk und Ingeborg Fandrey wurde es dann möglich, über diese Basis, die bei Truhenorgeln meist die Register Gedackt 8', Flöte 4' und Flöte 2' umfasst, hinauszugehen.

                               Zur Erklärung: Die größte Pfeife eines 8'-Registers ist, wie der Name schon sagt, acht Fuß, umgerechnet 2,40 Meter lang. Da dies natürlich für eine kompakte Orgel viel zu groß ist, bedient man sich des Tricks, dass man durch Abdecken der oberen Pfeifenöffnung die klingende Luftsäule verdoppeln kann und man somit nur die halbe Pfeifenlänge, also 1,20 Meter, für die größte Pfeife benötigt. Daraus leitet sich auch der Registername „Gedackt“ ab. Man bezahlt dies damit, dass der Klang seine nicht geradzahligen Obertöne verliert, darunter auch die Oktaven, und dadurch weicher, aber weniger tragfähig wird. Deshalb bekam die Truhenorgel für die Jacobikirche nicht nur die Register Gedackt 8', Rohrflöte 4' und Flöte 2', sondern auch Prinzipal 8' und 4' – Prinzipalregister sind in einer großen Orgel diejenigen, die für den fundierten, kräftigen Klang sorgen, quasi das Grundnahrungsmittel, das dann mit leiseren und solistischen Klängen gewürzt werden kann. Prinzipalpfeifen sind offen gebaut, haben deshalb das komplette Obertonspektrum im Klang, aber eben auch eine größte Länge von 2,40m. Und wie passt das in die kleine Truhenorgel? Nun, was nicht hinein geht, muss daneben stehen. Und so gibt es an der neuen Klop-Orgel für die größten Prinzipalpfeifen einen separaten Turm, der über eine feste Verbindung mit kleinen Windkanälen – sogenannten Kondukten – mit dem eigentlichen Instrument verbunden ist. Sollte der Platz einmal eng werden, kann der Turm so einfach abgenommen und die Orgel ohne die tiefsten Töne des Prinzipal 8' gespielt werden.

Das Gehäuse ist aus dunkel geölter Eiche gebaut, die Tasten mit Ebenholz und Zwetschgenholz belegt. Die Klaviatur lässt sich nicht nur einschieben, sondern auch in vier verschiedene Stellungen seitlich verschieben, sodass die ganze Orgel um jeweils einen Halbton transponiert werden kann. Dadurch ist das Spielen in unterschiedlichen Stimmtonhöhen möglich: 392 Hz, 415 Hz (Barockorchester), 440 Hz (moderner Stimmton) und 465 Hz (sogenannter Chorton in Renaissance und Barock).

Im Klang der neuen Truhenorgel in St. Jacobi findet man die Erfahrung der Werkstatt Klop mit Cembali und anderen Generalbassinstrumenten wieder. Im Barockorchester hat ein solches Harmonieinstrument auch die Aufgabe, für eine rhythmische und perkussive Ebene zu sorgen. Was bei einem Cembalo durch das Anreißen der Saiten zwangsläufig entsteht, schaffen die Orgelbauer Klop durch eine entsprechende Intonation der Pfeifen. Ähnlich wie bei Orgeln von Paul Ott (vgl. Folge 5) sprechen die Töne mit einem deutlichen Knacken und Spucken an, wenn auch deutlich präziser und feiner als bei Ott. Dies trifft im Fall der Jacobi-Truhe sowohl auf die Flöten-, als auch auf die Prinzipalregister zu.

In den folgenden Hörbeispielen können Sie sowohl diese Ansprechgeräusche, als auch den für eine Truhenorgel ungewöhnlich tragfähigen Klang von Prinzipal 8' und Oktave 4' erkennen.

 Hörbeispiel 1: Prinzipal 8'  {mp3}Klop-Orgel Jacobi Beispiel1{/mp3}
 Hörbeispiel 2: Prinzipal 8', Rohrflöte 4' {mp3}Klop-Orgel Jacobi Beispiel2{/mp3}
 Hörbeispiel 3: Linke Hand: Prinzipal 8', rechte Hand: Gedackt 8', Flöte 2' {mp3}Klop-Orgel Jacobi Beispiel3{/mp3}
 Hörbeispiel 4: Gedackt 8', Rohrflöte 4' {mp3}Klop-Orgel Jacobi Beispiel4{/mp3}
 Hörbeispiel 5: Rohrflöte 4' {mp3}Klop-Orgel Jacobi Beispiel5{/mp3}
 Hörbeispiel 6: Linke Hand: Gedackt 8', Flöte 2', rechte Hand: Prinzipal 8', Prinzipal 4' {mp3}Klop-Orgel Jacobi Beispiel6{/mp3}
 Hörbeispiel 7: Prinzipal 8', Prinzipal 4', Flöte 2' {mp3}Klop-Orgel Jacobi Beispiel7{/mp3}
 Hörbeispiel 8: Gedackt 8' {mp3}Klop-Orgel Jacobi Beispiel8{/mp3}

Vom 30. Oktober bis 1. November 2020 wurde das Instrument im Rahmen der 1. Bachtage an St. Jacobi mit der Aufführung verschiedener Bach-Kantaten mit Orgelsolo eingeweiht. Die Mitschnitte können Sie auf dem Youtube-Kanal der Jacobikantorei anhören.

https://www.youtube.com/watch?v=-ZK3H_5ZNMU

Was bei der Auftragsvergabe für die Orgel in 2019 noch niemand ahnen konnte: In der Corona-Pandemie kam das Instrument zeitweise in jedem Gottesdienst zum Einsatz, wenn Kantor Stefan Kordes auf ihm die maximal acht erlaubten Sänger aus der Kantorei begleitete. Ein Grund mehr sich über dieses neue und für die Kirchenmusik in St. Jacobi sehr bereichernde Instrument zu freuen.

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