Bereits zum zweiten Mal findet am Donnerstag, dem 22. Mai um 12:15 Uhr die „Italienische Viertelstunde“ statt. Auch während die Musik erklingt, kommen stetig neue Zuhörer:innen hinzu - und bleiben meistens. Und genau so hat sich Kantor Stefan Kordes das gedacht. Es soll kein klassisches Konzert sein, berichtet er, sondern Zeit zum Verweilen und Innehalten in der Hektik des Alltags, mitten in der Woche zur Mittagspause während der offenen Kirche. Eine Viertelstunde ist da eine gut bemessene Zeit, die man sich gerne auch spontan zum Durchatmen nimmt, ohne den Terminplan durcheinander zu bringen. Und ohne klassische Gepflogenheiten eines Konzerts wirkt das Format einladend auch für spontane Besucher:innen. Locker moderiert Kordes die Stücke an, spielt einzelne Motive vor, erzählt etwas zur Epoche, zum Komponisten, zur Orgel.
Und die Orgel ist das Italienische an der Viertelstunde. Im vorderen Kirchenschiff befindet sich die 1844 von Vincenco Ragone (Genua) erbaute kleine „Italienerin“. Ragone schuf - 200 Jahre nach dem Tod des italienischen Komponisten Giralamo Alessandro Frescobaldi - ein Instrument, auf dem sich die Orgelmusik der Renaissance historisch darstellen lässt. Denn die Orgel ist mitteltönig mit reinen Terzen gestimmt. Anders als mit der seit Johann Sebastian Bach üblichen gleichschwebenden Stimmung, klingen die Grundtonarten C-Dur, F-Dur, G-Dur und deren Paralleltonarten a-Moll, d-Moll und e-Moll besonders rein, während sich die übrigen Tonarten grausig verstimmt anhören. Kordes führt an einer chromatischen Tonleiter vor, dass an der Italienerin das Intervall einer kleinen Sekunde, das bei gleichschwebender Stimmung einem Halbton entspricht, immer unterschiedlich klingt - mal ist es eher ein Viertelton, mal eher ein Dreiviertelton. Und auch die kompakte Bauart ist historisch. Mit der sogenannten „kurzen Oktave“ lässt sich die in der Renaissance oft geforderte Oktave plus Quinte entspannt mit einer Hand greifen, und auch das 2021 von der Firma Bente zugefügte kurze Pedal ist in seiner Kompaktheit der Bauweise angepasst und lässt nun auch Stücke mit Orgelpunkt zu.
Kordes bereitet das Spiel an der Italienerin sichtlich Freude. Kunstvoll führt er die in der Renaissance charakteristischen Verzierungen aus, betont die Vorhalte und löst sie geschmeidig auf, führt die Läufe virtuos über die Tasten. An dem kleinen Instrument mit seinem zarten Klang ist jede Nuance zu hören. Das bewusste Spiel der Komponisten zwischen den kristallklaren Klängen mit reinen Terzen und den weniger wohlklingenden Intervallen ist ein besonderes Hörerlebnis. Auch die typischen Genres aus der Renaissance stellt Kordes charakteristisch dar. Der höfische Tanz, an diesem Donnerstag dargestellt durch William Byrds (1540-1623) »Galliarda«, klingt auch bei den sakralen Werken stellenweise noch leicht durch, besonders bei Georg Muffats (1653-1704) Toccata prima, die aber mit ihren Orgelpunkten und virtuosen Läufen schon zur späteren barocken Orgelmusik überleitet, ebenso Juan Cabanilles (1644-1712) »Passacaglia primi toni«.
Eine Symbiose aus offener Kirche und kulturellem Mittagsangebot zum Innehalten wollte Kordes schaffen, und das ist ihm gelungen. Dass er dazu die Italienerin nutzt, ist ihm ein mehrfaches Anliegen: Zum einen möchte er ein explizites Angebot mit der italienischen Orgel schaffen, die bei den Freitagsmusiken kaum zum Einsatz kommt; zum anderen hegt er persönliches Interesse an der Renaissancemusik. Und an der Italienerin mit der mitteltönigen Stimmung bereitet ihm das Spiel der Renaissancemusik besondere Freude. So bietet diese Symbiose spontanen Kirchenbesucher:innen und Liebhaber:innen der Renaissance- und frühen Orgelmusik gleichermaßen eine bereichernde Mittagspause.
Die Reihe „Italienische Viertelstunde“ ist zunächst für das Sommerhalbjahr 2025 geplant mit Ausnahme der Sommerferien. Bei guter Annahme kann sich Kordes durchaus eine Fortsetzung in 2026 vorstellen.