Ein Kammerkonzert voller Spannung und Nervenkitzel! Das Göttinger Symphonieorchester präsentierte am 27. Januar das vielleicht emotionalste Streichquartett von Franz Schubert im Alten Rathaus. »Der Tod und das Mädchen« Streichquartett d-Moll D 810. Sein immenser Umfang macht es zu einem der längsten Streichquartette der Musikgeschichte. Die vier begnadeten Musiker des GSO, Dmitri Feinschmidt (Violine), Thomas Scholz (Violine), Atsushi Komatsu-Hayakawa (Viola) und Vladislav Kozin (Violoncello) sind große Bewunderer dieses Werks. „Für uns ist es ein unglaublich starkes Stück! Das will eigentlich jeder irgendwann mal spielen,“ erklärt Violinist Thomas Scholz. Das Publikum teilte diese Begeisterung für Schubert offensichtlich, denn es blieb kaum ein Sitz frei im Alten Rathaus! Somit große Freude, aber auch Druck für die Musiker.
Die Sätze von »Der Tod und das Mädchen« sind unglaublich weit moduliert. Schubert entführt die Zuhörer blitzschnell in andere, oftmals weit entfernte Tonarten. Dies sorgt für viel Spannung und überraschende Wendungen. Wie nicht anders zu erwarten, bewies das GSO-Quartett volle Konzentration und richtiges Durchhaltevermögen. Rasende Triolen, plötzliche Dynamikwechsel und ein immer langsam werdender “Herzschlag” in den Streichern. Die Musiker ließen nichts anbrennen und sorgten für Drama pur. Das Ringen mit dem Tod brachten das Quartett hervorragend musikalisch rüber!
Um noch weitere Bilder in den Köpfen der Zuhörer:innen zu erzeugen, las Stefan Dehler von der Theaterformation »stille hunde« poetische Texte vor, die den Todeskampf mit dem Knochenmann mal auf berührende und mal auf humorvolle Weise illustrierten. Geschichten voller Schmerz, Humor und Sexappeal. Stefan Dehlers theatralisches Schauspiel weckte viele Emotionen beim Publikum und rundete den Abend zu einem guten Gesamtpaket ab! Nach jedem Satz wurde eine neue Geschichte erzählt, die den Musikern damit auch eine kurze wohlverdiente Pause gaben.
Laut, schnell und dramatisch beginnen die Streicher den ersten Satz. Ein unruhig treibendes Triolenmotiv und nervöse Sechzehntel-Läufe beherrschen den Satz, während die Musiker den Bogen beinahe schon grob und schroff über die Saiten führen. All dies hat besonders viel Wirkung, denn man erlebt hautnah das Erschrecken des Mädchens vor dem Tod. Auch der ständige Wechsel von Lautstärke, Tonhöhe und Harmonik kreieren Spannung und Überraschungen. Danach sorgen die leisen schnellen Violinen für Anspannung und Nervenkitzel bis alle Streicher immer lauter und dramatischer werden! Schließlich wird das “Herzschlag”-Motiv wiederholt, bis es nach und nach langsamer, leiser wird, und von dem letzten Ton nur noch ein Röcheln zu hören ist. Man fragt sich: “Ist das Mädchen schon tot?”
Nein! Der Überlebenskampf geht weiter im zweiten Satz. Nach dem pianissimo vorgetragenen Thema der Schock: Explosionsartig werden alle Streicher ganz laut, wecken die Zuhörer auf und hauen sie beinahe aus ihren Sitzen! Anschließend kündigen leise, abgehakte Figuren vom Cello schon das Unheil an und plötzlich wüten im Scherzo schroffe Punktierungen in d-Moll, hier auch bekannt als die “Tonart des Todes”!
Im letzten Satz, das Presto-Finale, findet der Überlebenskampf seinen Höhepunkt: Eine stürmische Hetzjagd beginnt und die Musiker streichen ganz wild und rasant den Bogen, beinahe so, als würden sie mit dem Mädchen vor dem Tod flüchten. Unisono tragen die vier Instrumente das dahinrasende d-moll-Thema vor. Ganz laut, wild und ungezügelt spielen Feinschmidt, Scholz, Komatsu-Hayakawa und Kozin ihre Instrumente und kulminieren ihre gesamte Energie zu einem dramatischen Abschluss. Von dieser kraftvollen Schlussperformance waren die Zuschauer:innen so gefesselt, dass sie bald nicht damit aufhörten, euphorisch zu applaudierten!
Dramatische Szenen von Anfang bis Ende! Mit ihrem virtuosen Spiel konnte das GSO-Quartett die Erwartungen des Publikums voll und ganz erfüllen, wenn nicht sogar regelrecht übertreffen! Die Musiker strotzten nur so voller Energie und Leidenschaft! Bei den dahinhetzenden Themen und Motiven blieb wirklich kaum Zeit zum Verschnaufen. Von der nervenaufreibenden Hetzjagd mit dem Gevatter Tod wurde man komplett mitgerissen! Somit waren die Lesungen von Stefan Dehler eine willkommene Abwechslung, da sie kurze Erholungspausen boten, bevor man erneut in den Strudel aus Leben und Tod gezogen wurde! Wahrlich eine sehr mitreißende Kammermusik-Erfahrung!