Rocklegende Jon Lord und Ludwig van Beethoven: Was sie eint, ist ihr Pioniergeist. Jon Lord setzte 1976 mit seinem Rock-Klassik Soloalbum »Sarabande« einen Meilenstein und Beethoven 1800 mit seiner ersten Sinfonie. Beide hatten große Vorbilder und hinterließen bleibende Spuren in der Musikgeschichte, die bis heute nachhallen. Doch was passiert, wenn beide aufeinandertreffen?
Das zeigte uns das Göttinger Symphonieorchester in Kooperation mit den Göttinger Händelfestspielen am 16. Mai 2024. Unter der Leitung von George Petrou vereinten sich beide Klassiker zu einem fusionistischen Konzert in der Stadthalle, das die Grenzen der Epochen sprengte.
Der erste Teil des Abends ist Ludwig van Beethoven gewidmet. Als er die Symphonie Nr. 1 in C-Dur veröffentlichte, war er bereits 30 Jahre alt und hatte zusätzlich durch Haydns und Mozarts Sinfonien bereits hohe Maßstäbe, die es zu erreichen galt. Seine erste Sinfonie erwies sich jedoch als ein bahnbrechender Erfolg und vereint, was Mozart und Haydn in ihren Sinfonien zuvor geschaffen haben. Der Kopfsatz der Symphonie Nr. 1 folgt einer klassischen Sonatenhauptsatzform und beginnt mit einer Einleitung (Adagio molto), die die Zuhörer:innen zunächst im Dunkeln tappen lässt, was die Harmonie angeht. Erst im Allegro con brio findet das Stück mit der Vorstellung des ersten Themas zur Tonika C-Dur. Im zweiten Satz (Andante cantabile con moto) weben sich wiegende, sanfte Melodien wie ein schwebendes Band durch den Konzertsaal. Der dritte Satz (Allegro molto e vivace) hingegen wirkt durch die starken Dynamikwechsel und das hohe Tempo eher verspielt, abenteuerlich und frech. Der finale vierte Satz (Adagio – Allegro molto e vivace) beginnt solistisch, fast schüchtern mit einer Violine und endet heiter triumphierend mit einem großen Tutti.
George Petrous eigener Dirigierstil ummalt dabei die Musik. Seine Bewegungen sind sehr bildlich, expressiv und nuancenreich, manchmal geradezu tänzerisch. Mit den Farben eines ganzen Orchesters scheint er ein lebendiges Bild zu malen.
Es folgt eine kurze Pause. Und in der muss einiges auf die Bühne gerollt und gebaut werden, denn für den zweiten Teil des Abends, Jon Lords »Sarabande«, wird einiges benötigt: Schlagzeug, Gitarren, Bass, eine Harfe, ein Hammond Orgelkeyboard (XK-2), ein weiteres Keyboard und eine großzügige Auswahl an Schlaginstrumenten kommen hinzu. In der Mitte der Bühne thront jetzt ein Flügel. George Petrou, der eben noch am Dirigentenpult gestanden hat, wechselt die Rolle und bedient sowohl die Hammondorgel als auch den Flügel.
In dem 1975 komponierten Soloalbum »Sarabande« fügte Jon Lord, Mitgründer der Rockband »Deep Purple«, den Groove der 70er Jahre auf einzigartige Weise mit dem Stil und der Form von Bachs barocken Klaviersuiten zusammen und formte dabei ein meisterhaftes Klangerlebnis. Orchester und Band werden hier zu einer Einheit, die einen ganz neuen Klang kreiert und doch die augenscheinliche Verbindung zu ihren Vorbildern nie verliert. Jeder Titel des Albums ist wie für barocke Suiten charakteristisch an einen Tanz angelehnt: 1. Fantasia, 2. Sarabande, 3. Aria, 4. Gigue, 5. Bourée, 6. Pavane, 7. Capriccio & Finale
Auf den kontrastreichen ersten Part, die Fantasia, folgt direkt das namensgebende Herzstück des Albums, die Sarabande. Über einen synkopischen Beat legt sich elegant ein zunächst von der E-Gitarre gespieltes jazziges Hauptthema. Synthesizer mischen sich hinzu und verleihen dem Ganzen einen spacigen, funky Touch. Dann setzt das Orchester ein. Nach und nach übernehmen einzelne Stimmen das Hauptthema, bis schließlich das ganze Orchester mit einer bemerkenswerten Wucht und Stärke einsteigt. Immer wieder wechseln sich lyrische Orchesterteile mit jazzigen von der Band dominierten Passagen ab. Jon Lord hat in seiner »Sarabande« hörbar und dennoch subtil seine Vorbilder zitiert. In diesem Fall eines seiner Lieblingsorchesterwerke die »Fantasia on a Theme of Thomas Tallis« von Ralph Vaughan Williams.
Nach der romantischen, von Klavier und Orchester getragenen Aria folgt die stürmische, kraftvolle Gigue. Hier vermischen sich Orchester und Band zu einer untrennbaren Einheit. Nach einer kurzen quirligen, hopsenden Orchestereinleitung folgen Soli, die es in sich haben. George Petrou improvisiert soulig, jazzig an der Hammondorgel und slidet dabei nur so über die Tasten und Hannes Dunker erzeugt im Saal höchste Spannung, als er die Drums mit beeindruckender Wucht und Präzision wie einen rasenden, surrenden Motor klingen lässt. Dafür gibt es vom Publikum Applaus. Der fünfte Satz, die Bourée, ist stark von der rumänischen Volksmusik geprägt und präsentiert uns das volle Repertoire an Schlagwerk. Über eine volkstümliche Trommelbegleitung schwingen sich klezmerartige Melodien. Nach der sanften von Orchester und Akustikgitarre getragenen Pavane endet Jon Lords „Sarabande“ mit einem heiterem Capriccio, das spielerisch alle Sätze miteinander verwebt und die Zuhörer:innen mit einem richtigen Ohrwurm nach Hause lässt.
In Jon Lords »Sarabande« scheint jedes Instrument genau am richtigen Platz zu sein. Durch die so unterschiedlichen Genres hinweg, schafft er es, für jeden musikalischen Gedanken den richtigen Klang zu finden. Dabei fügen sich die unterschiedlichen Elemente so gut zusammen, dass von der Fusion kaum noch etwas zu hören ist und man fast den Eindruck hat, einer ganz neuen Art von Musik zu begegnen.
Die Händel-Festspiele stehen in diesem Jahr unter dem Stichwort »Kaleidoskop« und das ist auch Jon Lords »Sarabande«, ein musikalisches Kaleidoskop. Mein Fuß konnte über die gesamte Zeit hinweg nicht stillstehen und ich hatte großen Spaß beim Zuhören.
Zurecht werden alle Beteiligten mit Standing Ovation und nicht enden wollenden Jubelrufen belohnt. Auch ich bin begeistert!