Es ist eine schöne Tradition, das Festspielpublikum einige Wochen vor Beginn der Festspiele mit einem Auftaktkonzert schon einmal in Festspielstimmung zu bringen. Mit der Aufführung des Oratoriums »Deborah« in der St. Johanniskirche ist das am 13. April 2024 bestens gelungen.
Die ersten Jubelrufe in der nahezu ausverkauften Kirche kamen schon vor Beginn des Konzerts: der langjährige künstlerische Leiter der Internationalen Händel-Festspiele Nicholas McGegan hatte die Musikalische Leitung des Abends übernommen. Als er seinen Arbeitsplatz einnahm, prasselte deutlich mehr also wohlwollender Applaus entgegen. Seine Beliebtheit in Göttingen ist nach wie vor sehr groß.
Schon bei den ersten Takten der Ouvertüre vergaß man, dass dort kein Barockorchester musiziert, sondern ein Orchester mit modernen Instrumenten. Die NDR Radiophilharmonie ließ sich auf die historische Aufführungspraxis ein – was nicht zuletzt am mitreißenden Dirigat McGegans lag. Wer weiter vorne im Kirchenschiff saß, konnte in die Gesichter der Musizierenden schauen, die großes Vergnügen am Spiel hatten.
Und als der »Chor der Israeliten« mit den Worten »Immortal Lord of earth and skies« hörte man eine unglaublich vitale Kraft aus den Kehlen der Capella St. Crucis Hannover und dem Collegium Vocale Hannover. Florian Lohmann hat die Chöre perfekt auf diesen Abend vorbereitet. Nicholas McGegan hat sein Übriges getan, so dass die große Freude an der Musik Händels nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar war. Wer einmal mit Nicholas McGegan musizieren durfte, weiß, welch ungeheure Freude er aus den Sänger:innen und Spieler:innen entfachen kann.
Im Laufe des Abends bewies der Chor, dass er nicht nur kraftvolles Forte im Repertoire hat. Überaus beweglich reagierten die knapp 100 Sängerinnen und Sänger und trugen erheblich dazu bei, dass es trotz der 2 ½ Stunden Dauer des Oratoriums ein sehr kurzweiliger Abend wurde.
Dafür sorgten allerdings auch die Solist:innen. Allen voran die Sopranistin Sherezade Panthaki in der Titelrolle der Deborah. In Panthakis Augen funkelte es, wenn es sein musste. Und das Gesicht strahlte eine Zuversicht aus, wenn dies angebracht war. Diese Mimik unterstützte die Sängerin mit großen Gesten – und sorgte damit fast für eine szenische Aufführung. Ihre Kollegen Hugh Cutting (Countertenor) in der Rolle des Barak, Andrew Foster-Williams (Bass-Bariton) als Abonoam und Amanda Forsythe (Sopran) als Jael und Isralitische Frau. Deborahs eigentliche Widersacherin trat erst im zweiten Teil auf: mit bösem Blick betrat Franziska Gottwald (Mezzospran) als Sisera das Podest. Auch sie sparte nicht mit Mimik, Blicken und Gestik.
Die beiden Widersacherinnen und die übrigen Solist:innen zeigten wahres Festspiel-Niveau. Bisweilen hörte man aus dem Publikum Versuche nach einer Arie, Zwischenapplaus zu geben. Es juckte einen wirklich in den Fingern! Und immer, wenn sich Nicholas McGegan einmal zu den Solist:innen umdrehte, war sein Freude ausstrahlendes Gesicht zu sehen.
Der ganze Abend war eine große Freude. Da passten sich die drei Sänger Albrecht Goetz (Tenor), Jonas Alpmann und Jakob Ruschepaul (Bass) problemlos an. Die drei Chormitglieder traten für ihre kurzen Soloparts nach vorne und meisterten ihre Aufgaben hervorragend.
So endete der Abend nicht nur im triumphalen Sieg der Israeliten über die Kanaaniter, sondern vor allem mit Jubelstürmen aus dem Publikum. Schnell gab es stehende Ovationen, der Beifall wollte kaum enden. Erst als McGegan unmissverständlich klar machte, dass er nun gerne ein kühles Getränk zu sich nehmen wollte, entließen die Besucher:innen die Mitwirkenden.
Dieser Abend mit großartigen Klängen war nicht nur durch die Beweglichkeit der Mitwirkenden bestimmt, sondern war durch die Interpretation auch wahrhaftig bewegend. So entstand ein Kaleidoskopbild mit mitreißenden Bewegungen – die große Lust auf die Festspiele machten, die das Motto »Kaleidoskop« tragen. Am 9. Mai werden die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen 2024 mit dem Oratorium »Il Trionfo del Tempo e del Disinganno« in der Stadthalle eröffnet werden. Dann steht der aktuelle künstlerische Leiter George Petrou auf der Bühne und leitet das Festspielorchester.