© Manga und Photo von Keanu Demuth
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Kunstverein Göttingen

Berauschendes Ahnenritual

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Der Lange Nachmittag der Kunst »Oneiroi«
von Keanu Demuth, erschienen am 19. Dezember 2024

Langsam und gespenstisch schreiten zwei Frauen in Schamanen-Kutten um einen Kreis aus Stroh. Ihre Gesichter sind verhüllt von einem Seidentuch. Während wir Feldaufnahmen und befremdliche Geräusche hören streuen die Schamaninnen Salz um den Kreis, um den Ort zu reinigen und den Geistern Eintritt zu gewähren. “Wir wollen mit den Geistern unserer Ahnen kommunizieren.”

Zum Jahresausklang öffnete der Kunstverein Göttingen nochmals die Türen des Alten Rathauses für eine bewusstseinserweiternde Ritualperformance. Mit dem »Langen Nachmittag der Kunst« am 14. Dezember rückte der Kunstverein nochmals die multimediale Ausstellung »Oneiroi« von Geng Xue und Runa Ikeda in den Vordergrund und präsentierte gleichzeitig die Uraufführung von »Ancestral Eavesdropping«, eine Performance des Kollektivs iYi.

Runa Ikeda600Runa Ikeda, Gründerin von iYi, gab im Gespräch mit Kurator Stephan Klee weitere interessante Einblicke in ihre künstlerischen Arbeiten. Somit war ein erneuter Besuch der Ausstellung durchaus lohnenswert. „Zeichnen und Malen ist eine Art Meditation für mich. Ich will die helle und dunkle Seite unseres Wesens mit meiner Kunst widerspiegeln. Aber für mich ist Dunkelheit nichts Schlechtes, da jeder eine dunkle Seite hat und diese Teil von uns ist,“ verrät die japanische Künstlerin. Ihre Werke ergründen die Wechselbeziehung zwischen Licht und Schatten.  Fantastische Hybridformen aus Mensch und Tier oder weiße Engel die aus Schatten hervortreten sind nur einige Beispiele aus ihrem Portfolio.

Besonderes Augenmerk warf Ikeda zudem auf ihre Installation »Kai«. “Kai” bedeutet Kreis auf japanisch und stellt ihren eigenen Lebenszyklus da. Wer sich beim vorherigen Besuch gefragt hat, was es mit diesem Kreis auf sich hat, bekam nun die Antwort. Er diente als Hauptszenerie für die Ritualperformance »Ancestral Eavesdropping« (“Lauschangriff auf die Vorfahren”). Wir sehen einen “Sumo”-Kreis, in welchem ein großer Scheiterhaufen, Muscheln, Äste und eine Schriftrolle zu sehen sind. Die Muscheln sind von einer japanischen Insel, der Heuhaufen aus ihrer Wahlheimat Berlin und die Äste sind aus Göttingen. Damit sehen wir wichtige Stationen aus Runa Ikedas Leben. „Aber nur durch die anschließende Performance kann das Kunstwerk erst vollkommen werden,“ erklärt Ikeda.

Zusammen mit ihrem Ehemann, Musiker Shinichiro Ikeda, und ihrer koreanischen Freundin Frida Eun Ae Yngvesson bildet Runa Ikeda das interdisziplinäre Kollektiv iYi das immersive und improvisierte Performances produziert.

Zu berauschender japanischer Klangkunst auf Shinichiros Synthesizer beginnen die Frauen den Ort zu reinigen und das Ritual fortzusetzen. Sie nehmen die Seidentücher vom Gesicht und Runa malt mit einem Kalligraphie-Pinsel Kanji-Zeichen auf die Schriftrolle wie “生”, Leben. Frida Eun Ae fängt währenddessen an, einen Ritualtanz zu praktizieren, sie kriecht auf unheimliche Art wie eine Spinne auf dem Boden, ihre schwarzen Haare verhüllen erneut ihr Gesicht. Besonders sie sorgte mit ihrer gespenstischen Choreographien für Gänsehaut und erinnerte an japanische Geisterfrauen aus Filmen wie »Ringu: The Ring« oder »Ju-On«. 

Die befremdliche Synthesizer-Musik, der Reinigungsakt mit Salz, das Malen von Schriftzeichen und der Ritualtanz: alle Faktoren sorgten dafür, dass sich die Zuschauer:innen vollkommen in die Immersion verloren haben. Die Immersion von einem reinigenden Ritual, bei dem das Tor zum Übernatürlichen geöffnet wird. “Es ist ein Mix aus unseren verschiedenen, und doch ähnlichen Kulturen. Wie reflektieren unser kulturelles Gedächtnis wieder. Unser Ritual hat Züge von japanischen Shinto-Praktiken und dem Bon Odori Tanz. Gleichzeitig wird der Tanz mit dem Seidenschal von koreanischen Schamanen praktiziert,” erzählt das Trio.

Ein wahrlich berauschendes Ahnenritual. Mit ihrer Performance stellten iYi Teile der japanischen und koreanischen Ritualpraxis vor und hüllten diese in ein neues, künstlerisch-immersives Gewand. Wer noch nicht genug von dem Trio bekommen an, kann sich freuen: auf der KUNST-Gala 2025 vertritt das iYi-Kollektiv den Kunstverein Göttingen mit einer weiteren Aufführung.

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