Wojtek Bolimowski | © Photo: Miroslaw Pajak
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Kulturbüro Porträt

Musik bedeutet mir alles 

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Wojtek Bolimowski
von Christiane Goos, erschienen am 25. Februar 2022

In der Serie Kulturbüro Porträt hat sich Autorin Christiane Goos mit dem Violinisten Wojtek Bolimowski getroffen. Er erzählt, wie er zu seinem Instrument und zum Göttinger Symphonieorchester gekommen ist und was ihn sonst noch umtreibt.

Gespannt stehe ich vor einer blauen, sehr liebevoll gestalteten Haustür. Eine Miniaturgeige direkt neben dem Eingang lässt mich beruhigt feststellen, dass ich wohl das richtige Haus in der richtigen Straße aufgesucht habe. Ich besuche den Musiker und Arrangeur Wojtek Bolimowski für ein Gespräch. Er gehört zu den wohl vielfältigsten Musikern in Göttingen. Ich möchte mehr über seine erste Begegnung mit der Musik und seinen Weg erfahren.

Ich hatte schon immer einen wahnsinnigen Drang nach Selbstständigkeit

Bevor wir auf das Thema Musik kommen, fällt mein Blick jedoch zunächst auf eine sehr ungewöhnliche, äußerst kreative Esstischgarnitur, deren Stühle für mich verblüffend viel Ähnlichkeit mit dem Griffbrett einer Geige haben. Es ist Wojtek Bolimowskis eigener Entwurf, den ein guter Freund aus Buchenholz für ihn angefertigt hat, wie er mir erzählt. Kreativität ist ein starker Wesenszug seiner Persönlichkeit, nicht nur, was sein Wirken als Musiker und Arrangeur anbelangt, wie ich in unserem Gespräch noch öfter feststellen werde. Das Bedürfnis, selbstständig zu sein, sich neu zu finden und die Dinge anzupacken, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Ich hatte schon immer einen wahnsinnigen Drang nach Selbstständigkeit, betont er. Schon in jungen Jahren entdeckte er seine Leidenschaft, etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen. So baute er sich in einer Phase, in der er Rockmusik für sich entdeckte, nach Anleitung in einer Technikzeitschrift eine eigene E-Gitarre, die der Geige ebenso wie das Saxophon, eine Zeit lang Konkurrenz machte und für die eine umfunktionierte Radioanlage als Verstärker diente. Auch die Kollegen hätten ihn nicht nur mit der Geige, sondern nicht selten auch öfter mal mit der Bohrmaschine in der Hand erlebt. Seine stets treue Begleiterin ist und bleibt jedoch die Geige. 

Warum die Geige? 

Natürlich interessiert mich, wie alles begann und warum Wojtek Bolimowski nun ausgerechnet die Geige zu seinem Instrument machte. Seine erste Geige war ein Geschenk seiner Tante, für die das Instrument genau das richtige für ihren Neffen zu sein schien. Bereits im Vorschulalter begann er, sich den vier Saiten des Instruments zu widmen.  

Geboren wurde Wojtek Bolimowski  in Warschau. Seine Eltern waren beide bei der Post tätig, seine Mutter im Postamt und sein Vater bei der Postbahn. Ein Instrument spielten beide nicht, doch füllten sie die Räume des gemeinsamen Hauses mit dem natürlichen Klang ihrer Stimmen, verbreiteten gute Laune und tanzten sehr gerne. Auch ein Radio sorgte dafür, dass Musik im Familienleben eine präsente Rolle spielte. Wojtek Bolimowski blieb das einzige Kind seiner Eltern. Durch den Beruf seines Vaters, der ihm ermöglichte, ihn auf Reisen zu begleiten, lernte er sein Heimatland Polen kennen. Zum Zeitpunkt der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl war sein Vater nur 20 km entfernt. Er starb wenige Monate, nachdem Wojtek Bolimowski erfuhr, dass er selbst Vater werden würde. Die freudige Nachricht konnte er noch überbringen und auch eine kurze Reise konnte er noch mit seinen Eltern machen, bevor sein Vater in einer Klinik verstarb. 

Ich muss gar nicht suchen, ich habe es schon - Die Geige als Profession

Schon ab dem zweiten Grundschuljahr stand fest, dass  Wojtek das Talent, den Willen und auch die nötige Disziplin hatte, dem Spiel auf der Geige mehr Raum zu geben. Auch seine Familie stand hinter ihm, immer mit einem wachsamen und fürsorglichen Auge, dass Schule und Musikunterricht nicht zu viel würden. Er genoss eine sehr gute musikalische Ausbildung, denn parallel zur Grundschule gab es die Möglichkeit, zusätzlich eine Musikgrundschule zu besuchen, der sich dann nahtlos der Besuch des Konservatoriums anschloss. Eine sehr bestärkende Erfahrung machte er, als er im Grundschulalter ausgewählt wurde, ein TV-Jingle zu singen. 

Besonderes Interesse galt in seiner Schulzeit vorrangig den humanistischen Fächern. Dem Fach Geschichte konnte er zunächst weniger abgewinnen. Erst nachdem er sich nach einer ihn unbefriedigenden Note auf dem Zeugnis diesem Bereich mit einem Freund spielerisch und humorvoll annäherte, wurde sein Interesse immer größer. Technische Fächer brachte er sich hingegen in seiner Garage bei. So schraubte er mit einem Freund ein ganzes Auto mit Teilen vom Schrottplatz zusammen. Der ölige Motor lagerte zum Leidwesen seiner Mutter in der Badewanne: Ich habe sie noch nie so wütend gesehen…, erinnert er sich. Doch eine gemeinsame Probefahrt mit dem frisch erschaffenen Werk auf vier Rädern versöhnte sie wieder und machte sie stolz. Die Frage, was er denn beruflich machen wolle, war für Wojtek Bolimowski schließlich sehr leicht zu beantworten, denn er stellte fest: Ich muss gar nicht suchen, ich habe es schon.

Nachdem er bis zu einem gewissen Punkt immer das erfüllte, was in der Musikschule von ihm erwartet wurde, öffneten sich Wojtek Bolimowskis Blick und seine Leidenschaft im Laufe der Jahre immer mehr für die Jazzmusik. Erfahrungen sammelte er u. a. in Warschauer Jazzklubs, in denen er sich einen Namen machte. 

Wie ein Fisch im Wasser – Der Weg nach Göttingen

Nach der Ausbildung auf dem Konservatorium folgten drei Monate Ferien, nach denen Wojtek Bolimowski schließlich eine Einladung der Warschauer Nationalsymphonie erreichte. Der damalige Leiter zitierte ihn persönlich zu sich. Er habe die Angewohnheit gehabt, einige der zahlreichen kleinen Konzertveranstaltungen der Musikhochschule zu besuchen und sich von der letzten Reihe aus auf die Suche nach potenziellen Nachwuchsmusiker:innen für sein Orchester zu machen. Vorspielen musste Wojtek Bolimoski nicht mehr, der Leiter habe ihm damals nur gesagt: Willst du zu uns kommen?  Bolimowskis Einwand, er habe die Geige für drei Monate nicht angerührt ließ er dabei keineswegs gelten: Ich weiß, wie du spielst! Und es folgte eine detaillierte Auflistung von Stücken und Zeitpunkten, zu denen er sie gespielt hatte. 

Glücklicherweise hatte Wojtek Bolimowski schon einige Freunde im Orchester, so dass er sich schnell in einem angenehmen und guten Klima wiederfand: Es war eine gute Familie, das Orchester – Fantastisch! Das erste Konzertprojekt war jedoch eine wahre Herausforderung, sollte er sich doch kurzfristig innerhalb weniger Tage auf Kompositionen u. a. von Igor Strawinsky vorbereiten, was ihm Momente der Verzweiflung bereitete. Doch auch diese Herausforderung meisterte er. Fantastisch erwies sich auch seine musikalische Ausbildung in den folgenden Jahren, erinnert er sich dankbar, ebenso wie die vielen Erfahrungen, die er auf zahlreichen Tourneen mit seiner Orchesterfamilie machen durfte. Schließlich bot man ihm die Position des 4. Konzertmeisters an. 

Zu diesem Zeitpunkt jedoch, zu Beginn der 80er-Jahre, als auch die politische Situation in Polen schwieriger wurde und viele Jazzklubs geschlossen wurden, hatte er bereits einen anderen Weg ins Auge gefasst, der sich nach dem Besuch eines seiner Professoren von der Musikhochschule in Göttingen ergeben hatte. Dieser hatte während einer kurzen Mitarbeit im Göttinger Symphonie Orchester einmal für Wojtek Bolimowski vorgefühlt, ob noch Bedarf an Musiker:innen bestünde. Tatsächlich konnte er für eine Sommersaison bei den Kurzkonzerten auf Norderney mitspielen und weckte Interesse beim damaligen Leiter Volker Schmidt-Gertenbach, der ihm das Angebot machte, 1-2 Jahre im Orchester zu spielen. Wojtek Bolimowski entschied sich zugunsten des GSO und beantragte im Warschauer Orchester zwei Jahre unbezahlten Urlaub, der ihm erfreulicherweise zugestanden wurde. So führt sein Weg ihn im April 1981 in einen Lebensabschnitt, der noch immer positive musikalische Vielfalt und Bereicherung in sich birgt und der sich immer wieder neu entwickelt und transformiert.

Aus seiner Liebe zur musikalischen Vielfalt entstanden zahlreiche, facettenreiche Projekte im Zusammenwirken mit Musiker:innen in den unterschiedlichsten Formationen und Musikrichtungen. Sein erstes Streichquartett, dasRosenquartett, hatte er bereits vor 30 Jahren gegründet. Leider löste es sich auf, als einer der Mitspieler verzog. Es folgte das Geigenhofquartett, nach dem auch sein Haus benannt ist. Zum 100. Geburtstag von Ella Fitzgerald arrangierte er verschiedene Stücke, die er mit der Sängerin Hannah Carlson präsentierte. Gemeinsam mit einigen Freund*innen gründete er die Bossa-Band Just Bossa mit dem brasilianischen Gesang von Katharina Pittrich. 

Wojtek Bolimowski ist jedoch nicht nur leidenschaftlicher Musiker, eine weitere erfüllende Tätigkeit ist das Arrangieren von Stücken – sein zweites Standbein. Auch für das Göttinger Symphonieorchester hat er schon verschiedenste Stücke arrangiert, u. a. für die lange Nacht der Filmmusik.

In Göttingen scheint er angekommen zu sein. Hier kaufte er ein Haus, den Geigenhof, ließ handwerklich seiner Kreativität freien Lauf, gestaltete alles aus eigener Vorstellung und aus eigener Hand. Hier war er nach der Scheidung seiner Frau fünf Jahre lang alleinerziehender Vater, eine Zeit, die in vielerlei Hinsicht zur Herausforderung wurde. Doch festigte es auch die Verbindung zu seiner mittlerweile 22-jährigen Tochter, die gesanglich sehr begabt ist. Wojtek erinnert sich an einen schönen gemeinsamen Aufenthalt in Österreich bei einem Chor-Camp, für das er seine Tochter damals bereits mehrmals angemeldet hatte. Einmal habe er sie begleitet und ein paar Stücke arrangiert, die so gut angekommen seien, dass man ihm die Übernahme eines Seminars anbot. Er dachte: Why not? Es sei ein schöner Ort, viel Wasser, er sei ein Wassermensch, und er spielte ernsthaft mit dem Gedanken, dort zu leben, auch wegen der Nähe zu seiner Tochter, die sich damals entschieden hatte, dort zu bleiben, da auch ihre Mutter dort lebte. Ein Grundstück am Wörtersee hatte Wojtek Bolimowski bereits sicher und alles schien geregelt, doch habe ihm seine Gesundheit einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn er bekam eine Schocknachricht: Krebs, der nur durch einen Zufall entdeckt worden war. 

Nach seiner Genesung war ihm nochmals bewusst geworden, wie sehr er in Göttingen verwurzelt sei: Hier bin ich wie ein Fisch im Wasser und gut vernetzt. Also blieb er. Der Schritt, alle Zelte abzubrechen, war und ist für ihn nicht mehr vorstellbar. 

Musik bedeutet mir alles - Die Liebe zur Vielfalt

Seine Offenheit und Neugier, sowohl was die Musik betrifft als auch die menschliche Begegnung, lassen Wojtek Bolimowski immer wieder neue Wege erkunden, einen Ausdruck und Formen für Musik zu finden. Die Bandbreite reicht von Streichquartett und Klassik über Jazz, Blues, Rock bis zu experimentellen Ideen mit der Verbindung von Musik mit Poesie und Lyrik sowie die Symbiose von Kunst, Malerei, Wort und Sprachmelodie mit Melodien. 

Auch die Sprache gehört zu seinen Interessen. So entdeckte er in der Corona-Zeit einen weiteren Bereich für sich, bei dem es zwar nicht um Noten geht, aber um die Melodie der Worte, für ihn ein Ausdruck von Kunst. Auf Bitten eines befreundeten polnischen Schriftstellers wagte er sich an die Herausforderung, ein Manuskript aus dem Polnischen ins Deutsche zu übersetzen. Zurzeit steht er in enger Auswahl, auch das nächste Buch seines Freundes zu übersetzen. 

Musik bedeutet mir allesMir reicht es, zu wissen, dass Musik im Raum ist und ich jederzeit Zugang zu ihr finden kann. Sie wird mich nie verlassen. Seine Antwort auf meine wichtigste Frage, was ihm die Musik bedeute, kommt ganz klar und ohne jegliches Zögern, fast verwundert, scheint es doch so offensichtlich. Die Musik begleitete ihn bisher durch Höhen und Tiefen, bei Trauer und Freude und bei Herzensangelegenheiten; in Momenten der Begegnungen und des Abschieds, als er nach dem Tod einer lieben Freundin und Kollegin, der beliebten Schauspielerin Barbara Blume, ihren persönlichen Wunsch erfüllte, auf ihrer Beerdigung zu spielen und um Fassung ringen musste. Mit ihr hatte er eines seiner ersten Projekte auf die Beine gestellt, das über die reine Wirkung von Musik hinausging: Musik und Poesie, was sehr erfolgreich war. 

Und die Zukunft? 

Das Suchen und Finden musikalischer wie auch sonstiger Vielfalt wird weiterhin Teil seines Lebens bleiben. Ein Projekt, das bereits fest geplant war, aber wegen Corona und im letzten Jahr wegen des Wetters abgesagt werden musste, ist das Projekt Gartenkonzerte für Freunde, eine schöne Idee, auf deren Umsetzung sein Garten bereits wartet. Mit den Gartenkonzerten habe es zwar noch nicht geklappt, doch hatte er im Oktober letzten Jahres ein anderes wunderschönes Erlebnis, als er die Einladung vom Stadttheater Kassel bekommen habe, als 3. Konzertmeister bei einem Mahler –Projekt mitzuwirken, was ihm große Freude bereitet hat. 

Weitere Projekte plant Wojtek Bolimowski insbesondere auch mit seinem befreundeten Pianisten und Duo-Partner Gregor Kilian, mit dem er bereits im April 2021 bei der Amtseinführung des neuen Universitäts-Präsidenten Prof. Dr. Metin Tolan auftrat. Tolans besonderer musikalischer Wunsch war ein Medley von Star Wars und Jupiter von Holst (Planeten): Es sei eine absolute Herausforderung für ihn als Arrangeur gewesen, berichtet mir Wojtek Bolimowski, musste er doch die eigentlich für große Orchester komponierten Werke vollkommen auf eine Geige und ein Klavier herunter arrangieren. 

Mit seiner Band Just Bossa steckt er mitten in den Vorbereitungen für gemeinsame CD-Aufnahmen geplant, auf die man sehr gespannt sein darf. 

Ich wünsche Wojtek Bolimowski, der so viel Leidenschaft in seine Musik legt viele weitere und vor allem facettenreiche musikalische Erfahrungen! Herzlichen Dank für das bereichernde Gespräch!

 

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