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Die Orgel in St. Marien Göttingen | © Photos: Arne zur Nieden
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Orgeln in Göttingen

Orgelbauer Giesecke und Ott

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Prolog 2: Große Bedeutung für den Orgelbau im 20. Jahrhundert
von Arne zur Nieden, erschienen am 12. Juni 2020

Seit unserer letzten Orgelreise sind 100 Jahre vergangen, wir schreiben inzwischen das Jahr 1844. Fast 100 Jahre war es ruhig in der Göttinger Orgelbauerzunft, aber jetzt tritt mit dem gebürtigen Göttinger Carl Giesecke ein junger Meister auf, der, zuerst selbst, dann seine Nachfolgenden, die Göttinger Orgelbautradition für fast 170 Jahre prägen sollte.

Gelernt hatte er beim damals überregional bekannten und angesehenen Orgelbauer Schulze im thüringischen Paulinzella, einem zu seiner Zeit fortschrittlichsten und modernsten Orgelbauer, der mit seinen Instrumenten klanglich den Weg in die Romantik ebnete. Etliche von Gieseckes Instrumenten sind ganz oder teilweise erhalten geblieben. In Göttingen werden wir in der Petrikirche in Weende fündig, wo noch das Hauptgehäuse und einige Pfeifen von ihm stammen, in Rosdorf, wo eine beeindruckende zweimanualige Orgel teilweise erhalten und 1997 rekonstruiert wurde, und in der Marienkirche. Und genau dieses Instrument führt uns in die bedeutendste Zeit des Göttinger Orgelbaus.

Das 19. Jahrhundert war geprägt durch die Romantik. In der Orgelmusik machte sich diese unter anderem durch die Vorliebe für Klangflächen bemerkbar. Während barock Instrumente einen „sprechenden“ Ton haben, ist er bei romantischen eher „singend“. Außerdem baute man, um dem an sich starren Orgelklang die in der romantischen Musik unverzichtbare Dynamik zu geben, allerlei technische Einrichtungen und sogenannte „Spielhilfen“ ein, die am Ende des Jahrhunderts eine beachtliche technische Komplexität erreichten. So wurden die Tonventile beispielsweise nicht mehr über eine mechanische Verbindung von der Taste aus angespielt, sondern durch eine pneumatische, also durch Luftdruck. Dies und andere Finessen ermöglichten orchestrale Riesenorgeln, die der Monumentalität einer Mahler-Symphonie entsprachen.

Wie so oft, wenn eine Entwicklung an ihrem Höhepunkt angekommen ist, kam dann Anfang des 20. Jahrhunderts eine neue Generation an Musikern und Orgelbauern zum Zuge, die mit der bisherigen Entwicklung radikal brachen. Für Orgelmusik und -bau bedeutete das eine Rückbesinnung auf alte Musiktraditionen, sowohl in bei der Musik selbst als auch bei den Instrumenten – hier ganz in der Tradition der Singbewegung. Deshalb wurden barocke Orgeln wieder interessant, wurden erforscht und zuerst ihre Klangideale, später auch die Technik wiederentdeckt. Und in dieser „Orgelbewegung“ genannten Strömung spielen zwei Göttinger eine zentrale Rolle: Christhard Mahrenholz und Paul Ott.

Mahrenholz, gebürtiger Adelebser, war in den Jahren 1925/26 als Hilfspastor in St. Marien tätig. Dort stand, wie schon geschrieben, eine Orgel von Carl Giesecke, die sich aber inzwischen in einem schlechten Zustand befand. Deswegen wurde bei der zu dieser Zeit sehr erfolgreichen Orgelbauwerkstatt Furtwängler & Hammer in Hannover ein Orgelneubau bzw. eine Erweiterung der Giesecke-Orgel in Auftrag gegeben. Mahrenholz, seines Zeichens nicht nur Theologe, sondern auch Organist und 1923 mit einer musikwissenschaftlichen Doktorarbeit über Samuel Scheidt promoviert, plante dieses neue Instrument. Dafür orientierte er sich unter anderem an theoretischen Schriften zum Orgelbau aus dem 18. Jahrhundert und versuchte so durch die Zusammenstellung der Register – also der Klangfarben – wieder zu einem barocken Orgelklang zurück zu finden. Das war für das Jahr 1925 revolutionär und so wurde die Orgel in der Marienkirche zu einem der zentralen Instrumente der Orgelbewegung, die das restliche 20. Jahrhundert prägen sollte. Technisch ist diese Orgel allerdings noch im spätromantischen Stil angelegt, also pneumatisch (heute elektropneumatisch).

Für die Wiederentdeckung der alten Orgelbautechniken brauchte es einen anderen: Paul Ott. Vom Bodensee stammend machte er eine Ausbildung bei dem süddeutschen Äquivalent der angesprochenen Fa. Furtwängler & Hammer, der Orgelbaufirma Steinmeyer in Oettingen. Während er dort den spätromantische Orgelbau erlernte, kam er aber durch seine Aktivität in der Singbewegung unter anderem mit Christhard Mahrenholz in Kontakt. So kam er nach Göttingen und baute seine erstes eigenes Instrument auf dem Gelände der inzwischen auf die Pfeifenherstellung spezialisierten Fa. Giesecke. Es war eine Kleinorgel, ein sogenanntes Positiv, das seinen Platz in der Marienkirche fand. Das Instrument ist erhalten, aber leider in mir unbekannter Hand und Ort in Privatbesitz.

Erreichbar ist dagegen ein weiteres sehr frühes Instrument aus dem Jahr 1934, das zugleich Otts Meisterstück war. Das kleine Positiv (so werden kleine, nicht fest eingebaute Orgeln genannt), das ursprünglich wie ein Harmonium mit per Fuß betätigten Schöpfbälgen mit Wind versorgt wurde, steht in der Kirche von Knutbühren. Ein etwas größeres Instrument baute er 1938 für keinen geringeren als Hugo Distler, dessen herbe, aber doch sehr feine Musik ihre genaue Entsprechung in Paul Otts Orgelklang findet. Dieser zeichnet sich durch sehr deutliche Ansprechgeräusche, wie „fauchen“ und „spucken“ aus – eine radikale Abkehr vom weichen, romantischen Klang und eine Rückkehr zum sprechenden Barockklang.

Die Große Zeit der Werkstatt von Paul Ott, und später auch seinem Sohn Dieter, kam nach dem Krieg. Zum einen waren viele Kirchen und ihre Orgeln zerstört und mussten neu errichtet werden, zum anderen wurde aber das neue Klangideal so „mainstream“, dass jede große Kirche ihre alte romantische Orgel durch eine neue neobarocke ersetzt wissen wollte. Und unter den protestantischen Gemeinden in der ganzen Bundesrepublik und darüber hinaus war Paul Ott einer der großen Namen. So finden sich seine Instrumente z.B. in der Markuskirche in München, der Bremer Liebfrauenkirche, der Kreuzkirche in Bonn und der Kirche „Zum -Guten-Hirten“ in Berlin-Friedrichsfelde, aber auch in Oslo, Bergen und Tel Aviv.

Waren seine Orgelneubauten stets charakteristische Instrumente mit einem eigenen Klangkonzept, die als eigene, in sich stimmige Kunstwerke gesehen werden sollten (was heute aufgrund eines erneuten Geschmackswechsels zurück zum romantischen Klang leider sehr oft nicht geschieht), so sind seine Restaurierungen, die die Werkstatt Ott vor allem in Norddeutschland ausführte, kritischer zu betrachten. Denkmalgerechte, substanzerhaltende Arbeiten, wie sie heute durchgeführt werden, waren in dieser Zeit noch nicht üblich, es wurde als Restaurierungskonzept nicht der nachgewiesene Originalzustand, sondern ein im Sinne der Orgelbewegung idealisierter Zustand angestrebt – vor allem auch auf Veranlassung der jeweiligen Orgelsachverständigen.

In Göttingen finden sich aber vor allem Neubauten aus der Werkstatt Ott an folgenden Standorten:

St. Albani, St. Jacobi, St. Johannis, Reformierte Kirche, Christuskirche, Lukaskirche, Friedenskirche, Petrikirche Grone, Petrikirche Weende, Nikolaikirche, Kreuzkirche, der Martin-Luther-Gemeinde, Holtensen, auf den Friedhöfen Geismar, Junkerberg und Stadtfriedhof, der Voigt-Realschule (mittlerweile verkauft), der ehemaligen Pädagogischen Hochschule und im Weender Krankenhaus. Diese Aufzählung ist sicher nicht vollständig.

Die Bedeutung Paul Otts für den Orgelbau im 20. Jahrhundert ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Nicht nur die große Menge und weite Verbreitung der Instrumente ist da bemerkenswert, sondern vor allem auch die Pionierarbeiten für die Ideen der Orgelbewegung in den 1930er Jahren. Als erster Orgelbauer, der seine Instrumente konsequent nach den neuen Idealen und zurückgreifend auf die alten Konstruktionsweisen barocker, vollmechanischer Orgeln baute, hat er die ästhetische Entwicklung der Orgel im 20. Jahrhundert entscheidend beeinflusst. Vor diesem Hintergrund ist es sehr schade, dass in den letzten Jahren und auch aktuell noch unter vielen Kirchenmusikern und Orgelsachverständigen das Verständnis für die Instrumentenkonzepte Otts so sehr verloren gegangen ist, dass die Orgeln durch romantisierende Neubauten ersetzt oder zumindest entgegen den Ottschen Idealen umgestaltet werden. Allerdings muss auch ich, als bekennender Freund dieser Instrumente, zugeben, dass Paul Otts Orgelklang sehr speziell und kompromisslos ist. Diese Kompromisslosigkeit, aber auch die durch die Orgelbewegung teilweise stark ideologisierte Ästhetik, war etwas, von dem sich dann die Schüler Otts, die eine Ausbildung in seiner Werkstatt gemacht hatten, zum großen Teil abwendeten. Von diesen lesen Sie dann im dritten Teil der Göttinger Orgelbaugeschichte.

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