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Theater im OP

Theater ist moralischer Widerstand

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Theater im Warschauer Ghetto
von Larissa Stöpler, erschienen am 01. Mai 2024

„Es ist ein Lachen unter Tränen, aber ein Lachen. Es ist unsere einzige Waffe im Ghetto, das Lachen über den Tod und die Hitlerdekrete. Humor ist eine Sache, die die Nazis nie verstehen werden“ (Mary Berg)

Wie kann ein Leben im Ausnahmezustand geführt werden? Wie kann Leichtigkeit, Widerstand und Überleben zusammen funktionieren? Wie kann es Theater im Warschauer Ghetto gegeben haben?

Andrea Stanze und Gabriele Davidsmeyer entwickelten mit einer Lesung aus Klaus Bergs 2022 erschienener Dokumentation „A Lidl and a Tanc“ oder „There’s no Business like Showbusiness“ ein Stück Erinnerungskultur, das einen Einblick gibt, in die (Überlebens-)Kunst der jüdischen Theaterleute im Warschauer Ghetto. Berg hatte aus Anzeigen und Artikeln der „jüdischen Zeitung“, sowie Informationen und Dokumenten aus der „Chronik des Warschauer Ghettos“ von dem Historiker und Ghettochronisten Emanuel Rosenblum seine Recherchen gespeist.

Anisha Blanke, Peter Blanke, Tobias Woijcik und Martin Liebetruth lasen Passagen vor und gaben ausgewählten AkteurInnen eine Stimme. Im Hintergrund wurden Fotos der vorgestellten Personen gezeigt, sodass aus Namen und Geschichten, Identitäten zu erkennen waren.

Beinahe bitter und lakonisch stiegen die Darsteller:innen und Davidsmeyer in die Lesung ein. Eine der Beschäftigung mit der Shoah eigene Schwere nahm den alten OP- Saal ein.

Das Warschauer Ghetto wurde von den deutschen Besatzern 1940 eingerichtet. 500.000 Jüdinnen und Juden wurden dort interniert. Durch die verheerenden Lebensumstände starben bis 1942 100.000 von ihnen. Ab Juli `42 wurde das Ghetto liquidiert und noch einmal 300.000 Internierte wurden in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Bei der brutalen Niederschlagung des Aufstands im Ghetto im Frühjahr 1943 starb die Mehrzahl der bis dato Überlebenden.

In diesem Ghetto gab es inmitten all dieser Zerstörung aber ausgerechnet eine blühende Theaterszene. In insgesamt 6 Theatern wurden für das anspruchsvolle polnisch- jüdische Publikum europäische Klassiker gespielt (keine kritischen Werke oder von „arischen“ Autoren), aber auch für das populär jüdische Publikum heitere jiddische Stücke. Die Theater waren mit 500- 900 Plätzen zu 80% ausgelastet. Theater blieb also eine Institution. Barbara Engelking schreibt dazu: „Die Teilnahme am kulturellen Leben war aber nicht nur Flucht vor der Realität oder psychische Selbstverteidigung, sie war auch eine Art moralischen Widerstandes und gab das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Welt von Werten, aus der die Deutschen die Juden vertreiben wollten.“

Theater spielen und Theater sehen bedeutete für ein paar Minuten vergessen können. Auch heute noch kann man sich, wie Andrea Stanze anmerkt, fragen, ob nicht auch in Gaza, in Afghanistan oder der Ukraine noch Theater gespielt wird. Die Zeichen der hart umkämpften Beständigkeit von Menschlichkeit in Form von Kunst und Kultur, wo sind sie zu finden? Wie sind sie geschaffen? Wie schöpferisch ist das Wissen, um Menschen, die unter menschenverachtenden Umständen noch an dem Feingeistigen festhalten? Natürlich lädt dieser Gedanke zu idealistischen Verklärungen ein: Tatsächlich bedeutete Theatermachen vor allem auch eine Möglichkeit weiter Geld zu verdienen.

Die Vorlesenden stellten ein paar dieser Menschen vor. Sie erzählten von Schauspielern und Tänzerinnen, von Rezensionisten und einem mutigen Straßenkünstler. Abraham Rubinsztajn, so der Name des Straßenkünstlers wurde zu einer Figur des Widerstands im Warschauer Ghetto. Er war bekannt für seinen Witz und seine Fähigkeit, mit den Nazis zu scherzen, obwohl er sich in einer äußerst gefährlichen Situation befand. Seine humorvollen und sarkastischen Kommentare waren oft eine Form des Widerstands und der Bewältigung der Grausamkeiten des Lebens im Warschauer Ghetto. Trotz der Bedrohung durch die Nazis fand er Wege, um seine Menschlichkeit und Entschlossenheit zum Ausdruck zu bringen, was zu seiner legendären Figur im Kontext des Holocaust beitrug. Die Umstände seines Todes sind nicht ganz geklärt, aber er soll während des Ghettoaufstandes 1943, als er letztlich doch von den Nazisoldaten gefasst wurde, den ikonischen Satz geschrien haben „Nein, ich will nicht sterben!“. Als Martin Liebetruth diesen Satz mit unerwartetem Schmerz und Leidenschaft ausruft, wird für einen Moment das Schicksal so vieler Verfolgter spürbar.

Der Rhythmus der Lesung wandelte immer wieder zwischen erzählerischem Eintauchen in eine lebendige Theaterkultur und blanker Vernichtungsrealität. Lebensecht wurde dadurch deutlich, wie kraftvoll es Theater schaffen kann, „Vergessen“ als kurzweilige Erleichterung in unbegreifbaren Lebenslagen anzubieten. Aber auch, was es bedeutet, aus der Verzauberung immer wieder in der Realität zu erwachen. Im Nachgespräch mit Andrea Stanze und Gabriele Davidsmeyer wurde klar: Die Erinnerung an die Menschen und ihr Schaffen im Holocaust ist nie zu Ende erzählt. Hinter jeder Zahl steht ein Mensch, ein Schicksal, ein Verbrechen, aber eben auch Talent, Leidenschaft, enorme Kraft und Durchhaltevermögen.

Mit dieser Lesung sollten diese Menschen dafür gewürdigt werden.

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