DT-Förderpreis für Tara Helena Weiß
Mit dem DT-Förderpreis hat es in diesem Jahr eine besondere Bewandtnis. An der Entscheidung der Jury nicht ganz unbeteiligt ist neben dem Deutschen Theater ein früherer Preisträger. Hätte Bardo Böhlefeld nicht so enthusiastisch von einem tollen Theater geschwärmt, wäre eine Schauspielschülerin in Rostock, die gerade in Berlin hospitiert hatte, vermutlich nicht auf den Gedanken gekommen, sich bereits ein Jahr vor ihrem Diplom spontan in Göttingen zu bewerben, um heute als neue Nachwuchspreisträgerin gefeiert zu werden.
Wir werden sie später noch gebührend feiern, aber jetzt ist eine gute Gelegenheit für erste herzliche Glückwünsche und einen spontanen Applaus für Tara Helena Weiß.
„Im Augenblick vor dem Gewitter,“ beginnt ein Gedicht von Michael Krüger, das mir nach meinem Gespräch mit unserer Preisträgerin durch den Sinn ging. Wir als Theaterpublikum bekommen auf der Bühne zu sehen, was nach diesem Augenblick passiert und nicht was alles dazu geführt hat, im Probenprozess. Sei es der Kampf mit einem sperrigen Text, mit einer widerspenstigen Figur und ihren Untiefen, oder der mit einem Stück, dass ständig neue Fragen stellt und dann mögliche Antworten ständig verweigert, weil sie – wie so oft -nicht zu haben sind. Da sind diese Phasen des Nachdenkens, Nachgrübelns, des erneuten Verwerfens von Lösungen, der nächste Versuch mit einer weiteren Facette, selbst wenn es sich nur um eine winzige Nuance handelt. Und da sind die Zweifel, das Gefühl, an den eigenen Ansprüchen zu scheitern trotzdem die eigene Messlatte nicht abzusenken und sich der Mutprobe und der Absturzgefahr erneut zu stellen. All das passiert in den Tagen, Wochen und Monaten vor einer Premiere. Bis zu dem Augenblick vor dem Gewitter, den der Dichter imaginiert.
„ in der vollkommen leeren Sekunde, / bevor der Regen das Land besetzt / und der Blitz dich kenntlich macht, / wenn plötzlich die Gespräche / abbrechen, wenn man nicht weiß, / mit was sich die Leere füllen wird, / wenn alle Erinnerungen spurlos / verschwunden sind und du nicht mehr bist / In dieser Sekunde musst du ins Wasser / gehen, und das Wasser geht durch dich hindurch“.
Tara Helena Weiß ist in ihrer ersten Saison am Deutschen Theater quasi durchgestartet mit komödiantischen, dramatischen, bewegenden und schmerzhaften Gewitterstimmungen. Gleich zur Spielzeiteröffnung in „Jeeps“ und dieser komödiantisch- ironischen Tour de Force, in der die Besitzstandsverhältnisse mit dem ererbten Wohlstand in Frage gestellt werden und auch ihre „Silke“ bei der Erblotterie erfolgreich zu pokern hofft. In der Wiederaufnahme „Früchte des Zorns“ trotzt ihre „Rose“ der ökonomischen und seelischen Verelendung, so wie sie sich als Marie“ in Brechts „Dickicht der Städte“ den Zumutungen verweigern wird, die ihr ein besseres Leben vorgaukeln. Ich hatte das Glück, Tara Helena Weiß bereits in einer Hauptprobe zu erleben und einen ganz besonderen Moment vor dem Gewitter. Wie eine junge Frau von ihrem Vergewaltiger mit einer Liebeserklärung und einem Eheversprechen bedrängt wird, ihm mit so viel Stolz und Würde und Wut begegnet, als könnte sie in Zukunft nie wieder jemand verletzten bevormunden oder zu irgendetwas gegen ihren Willen nötigen. Dass Brecht dieser Marie mit seinem Text ein so radikales Plädoyer für ihre künftige Selbstbestimmtheit zugetraut hätte, wage ich zu bezweifeln. Die Schauspielerin hat es ihr erkämpft wie eine Vision, die vielleicht nur auf der Bühne stattfindet. Aber was heißt nur. Wo sonst sollten Visionen behauptet werden, wenn nicht im Theater, dass damit auch die aktuellen Verhältnisse herausfordert, in denen Visionen einen schweren Stand haben und am Ende nicht nur politisch, sondern vor allem zugunsten der Ökonomie geschreddert werden.
In „Hedwig and the angry inch“ bestärkt Tara Helena Weiß das kämpferische Credo einer Marie auch in ihrem „Yitzhak“. Der lässt sich herumkommandieren und ausbeuten, wird mit Hedwigs Launen, Posen und leidenschaftlichen Ausbrüche traktiert und wird trotzdem nie zur Schmerzensfigur. Was ihn zum weiterhin anteilnehmenden Überlebenskämpfer macht, verrät uns die Schauspielerin nicht. Aber da ist diese wachsame Präsenz in der Figur, die sich nicht von den Ereignissen, den abgekarteten Showeffekten und den Zumutungen überrollen lässt und auf ihre Weise den Hintergrund gedanklich ausleuchtet und erhellt. Und sie signalisiert uns dabei auch, dass sie ganz für sich sein kann, ohne dabei verloren zu gehen.
Es gibt eine Vorgeschichte zu dieser wachsamen Präsenz, die unsere Förderpreisträgerin in jeder Rolle anklingen lässt. Und die hat damit zu tun, dass sie anderes als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht schon als Jugendliche auf der Bühne stand, sondern eigentlich lieber im Zuschauerraum. Zunächst bei einem Schulpraktikum in Halle, bei vielen Probenbesuchen und später auch bei einer ganzen Reihe von Hospitanzen am Deutschen Theater in Berlin. Die Proben hätten sie angezogen, erinnert sich die Schauspielerin, „einfach zugucken, was da passiert, um die Probebühne wie ein kleines Labor zu erleben, in dem nach anderen Regeln experimentiert wird als in der Realität. Die nicht nur Probenzuschauerin, die von besonderen schauspielerischen Leistungen schwärmt und von Gänsehautmomenten und von der Erfahrung, dass alles, was auf einer Bühne gerade behauptet wird, in dem Moment wahr ist, hätte natürlich Regie studieren können. Weitere Gänsehautmomente bei einer Hospitanz - „so will ich auch spielen“ - gaben dann den Ausschlag, sich der größeren Herausforderung zu stellen und Schauspielerin zu werden.
Die Messlatte liegt hoch bei Tara Helena Weiß, die sich als sehr leistungsbewusst beschreibt und eine Ideallinie für die jeweilige Figur im Blick hat, wie unerreichbar die auch sein mag. Aber dazu passt wiederum, was sie als „romantische Vorstellung“ beschreibt: Für den Moment alles zu geben an Handwerk, an Fantasie, an Imagination und in die Figur hineinzugeben. Auch das meint dieser „Augenblick vor dem Gewitter“, von dem ich vorhin sprach. Wir begegnen einer Marie, einer Rose und einem „Yitzhak“ auch mit all dem, was sie uns nicht erzählen und uns trotzdem berührbar macht für das nicht Ausgesprochene und das Unaussprechliche, was mitteilbar werden will.
Was mittteilbar werden will und muss, davon erzählt auch das Schauspiel für drei Stimmen „Nichts widersetzt sich der Nacht“ archäologischen Institut“ mit der Spurensuche einer Tochter in der Geschichte ihrer Mutter Lucile und den Fragen zu ihrem Selbstmord. Als junge Lucile bestürmt Tara Helena Weiß das Publikum in den ersten Szenen mit diesem jugendlich anmutenden Lebenshunger. Sie wird später wie auch Angelika Fornell und Jenny Weichert immer wieder die Perspektive der Tochter einnehmen oder die der reflektierenden Chronistin, die Delphine de Vigan in ihrem Roman mit der Spurensuche zur Geschichte ihrer Mutter verwebt hat. Doch welche Perspektive sie auch gerade einnimmt, der Lebenshunger ist weiterhin präsent, als sei er nicht zu bändigen, auch wenn die Chronologie der Ereignisse sich anders darstellt.
Feinsinnig dosiert von einer Schauspielerin, die in ihren Rollen den Puls von Überlebenskämpferinnen vernimmt und ihn befragt, um ihn für uns aufzuspüren. Auch da wo wir ihn möglichweise nicht vermuten.
Auch in der kommenden Spielzeit ist Tara Helena Weiß gleich Saisonbeginn wieder am Start. Wir dürfen gespannt sein, was sie uns in Anton Tschechows Kirschgarten in der Figur der „Warja“ entdeckt, die den Ruin der Gutsbesitzerfamilie auch nicht aufhalten wird.
Jetzt ist es an der Zeit, die neue DT-Förderpreisträgerin zu feiern, die ich gern noch einmal herzlich beglückwünschen möchte.