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Deutsches Theater

Die Handlung als Zeitschleife

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Premiere von »Anfang und Ende des Anthropozäns«
von Richard Kneffel, erschienen am 27. Februar 2024
Stella Maria Köb, Bastian Dulisch, Judith Strößenreuter, Paul Tempnau, Leonard Wilhelm, Rebecca Klingenberg | © Photo: Thomas Müller

Das Stück »Anfang und Ende des Anthropozäns« von Philipp Löhle feierte am Samstag, dem 24.02.2024, eine fulminante Premiere im Deutschen Theater Göttingen. Wobei bereits der Titel dieser Komödie irreführend ist, da das Stück weder Anfang noch Ende kennt. 

Es verhält sich nämlich so, dass mit Öffnen der Türen das Stück bereits im vollen Gange ist und die Zuschauer ungläubig eintreten lässt. Die Verwirrung steht allen ins Gesicht geschrieben und nicht selten ist ein hektischer Blick auf die Uhr oder auf das Ticket zu beobachten. Warum wird bereits auf der Bühne gespielt? Gab es unmittelbar vor der Premiere eine Generalprobe oder gar eine Vorstellung? Sind wir etwa zu spät? Doch nichts davon trifft zu, denn tatsächlich wird man vom Stück unmittelbar in die Handlung hineingeworfen, nur um am Ende ebenso unvermittelt hinausbefördert zu werden. Eine spannende Idee, ein Stück wie eine endlose Zeitschleife zu konzipieren. Zwar geht dadurch die erste Viertelstunde schauspielerischer Höchstleistungen in den privaten Gesprächen der überraschten Zuschauer beinah unter, kann am Ende jedoch noch einmal mit voller Aufmerksamkeit verfolgt werden.

Die Handlung des Stücks spielt vor dem Hintergrund einer Atomkatastrophe, aufgrund derer die ganze Erde verstrahlt ist. Wunderschön wird dies durch das Bühnenbild umrahmt, indem es die ganze Zeit Papierschnipsel aus dem Schnürboden regnet. Dieses bunte Treiben steht in starkem Kontrast zu den sonst sehr minimalistischen Requisiten auf der Bühne. Hier wird ein klarer Fokus auf die Handlung in drei Akten gelegt, welche zunächst völlig voneinander losgelöste Geschichten erzählen und diese letztendlich doch zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen. 

Das reduzierte Bühnenbild von Thomas Rump bietet der Handlung somit genug Raum, um sich zu entwickeln. Unterstützt wird es durch eine wunderbar besondere Licht- und Bühnentechnik, welche die Illusion stürmischer Winde und atomarer Dünste vermittelt. Niemals hat man als Zuschauer das Gefühl, die Bühne sei leer oder man wisse aufgrund der fehlenden räumlichen Einordnung nicht, wo die Geschichte gerade spielt.

Das Stück beginnt, sofern man die ausgeschriebene Uhrzeit der Premiere mit 19:45 Uhr als Startpunkt definiert, mit der Geschichte, die in der atomar verseuchten Zukunft rund um die Person 27 spielt. Sie behandelt sein Leben in der Zukunft und seine Aufgabe im Geheimprojekt WSP. In dieser Zukunft entwickelt sich die Menschheit aufgrund fehlender kognitiver Anstrengungen evolutionär zurück, was laut Erzählung an der übermäßigen Benutzung von digitalen Endgeräten liegt. Hervorragend porträtiert wird dies von Paul Trempnau, welcher den unverhofften Helden Widerwillen mit Witz und Charme spielt. Während das Zukunftsszenario stark an Huxleys Klassiker Schöne neue Welterinnert, überraschte die Präsentationsform des Stücks durch seine zahlreichen humoristischen Einlagen, die jedoch keinesfalls unangemessen wirken.

Jedoch verbleibt die Geschichte nicht lange in dieser Zukunftswelt, sondern springt im zweiten Akt in eine vornehmlich intermezzoartige Geschichte, welche über Umwege zum Dreh- und Angelpunkt des Stückes – der Atomkatastrophe – führt. Ausgangspunkt dafür ist die Familie des Amerikaners John Allen Chau, dessen amerikanischer Traum gescheitert ist und der stattdessen mit allen Mitteln versucht, den Verlust eines Familienmitgliedes zu überwinden. Es soll eine Geschichte über Vorurteile und das Ausbrechen aus bestehenden Systemen sein, überhebt sich jedoch innerhalb des Stückes und der Darstellungsform Komödie etwas an der Thematik. Zum Glück werden die bedienten Vorurteile noch rechtzeitig aufgelöst, bevor man das Theater schreiend verlassen kann, und geben dem Stück somit etwas Tiefgang. Dennoch kommt die Geschichte aus der Bedeutung eines besseren Platzhalters zur Verknüpfung der beiden anderen Geschichten nicht hinaus. Daran ändert auch Bastian Dulischs schauspielerische Leistung, dem die Rolle des John Allen Chau wie auf den Leib geschneidert wirkt, nichts. Denn die Lösung des narzisstischen John Allen Chau für die Probleme seiner Familie ist an Absurdität nicht zu überbieten und führt letztendlich zu einer Art Traumsequenz, welche die Handlung des Stückes in Akt drei springen lässt.

Dabei erfahren die Zuschauer mehr über die Wissenschaftlerin Swantje Plunder und ihre weltverändernde Idee eines interstellaren Müllentsorgungsprojektes. Damit schließt sich der Kreis und die Handlung wird zu einer perfekten Zeitschleife. Während der dritte Akt noch erzählt wird, merkt der aufmerksame Zuschauer bereits, dass ihm einige Szenen und Dialoge bekannt vorkommen. Die Szenen, die vor dem eigentlich offiziellen Beginn des Stückes bereits den Zuschauerraum erfüllen, können nun eingeordnet werden. Das Stück endet daraufhin langsam mit dem erneuten Beginn des ersten Aktes und lässt den Zuschauer in einem dunklen Saal mit seinen Eindrücken und Gedanken zurück.

Der daraufhin einsetzende tosende Applaus spricht für sich und krönt die wunderbare und ausdauernde Leistung aller sechs Schauspielenden.

Man verlässt das Theater anschließend mit vielen Fragezeichen im Kopf. Die Bedeutungsebenen sind durchaus vielschichtig, wenngleich die gewählte Darstellungsform dies auf den ersten Blick nicht so scheinen lässt. Durch die komödiantische Erzählweise wird das Stück verdaulicher und die aufgemachte Realität wirkt nicht so bedrohlich, trist und menschenfeindlich, wie sie eigentlich zu erwarten wäre. 

Doch leiden die Inhalte und gesetzten Akzente etwas unter einer nur oberflächlichen Behandlung. Eine tiefergehende Auseinandersetzung der gesetzten Themen wie (rassistische) Vorurteile, den Umgang mit Atommüll oder von den Medien ausgelöste Hysterien, welche den inhaltlichen Fokus viel zu oft durch personenzentrierte Interessen verlieren, findet nicht statt. Vielleicht ist es der künstlerische Anspruch des Regisseurs, ein seichtes und lustiges Theaterstück zu schaffen. Doch sind die angeschnittenen Themen dafür zu brennend, als dass sie auf altbekannte Situationskomik reduziert werden könnten. Zwar sorgt diese für den ein oder anderen Schmunzler, bleibt jedoch nicht langfristig im Kopf. Insofern man sich auf den Mangel an Tiefgang zugunsten der Komik einlassen kann, ist das Stück von Regisseur Philipp Löhle wirklich empfehlenswert. 

Seien Sie jedoch pünktlich eine Viertelstunde vor Aufführungsbeginn da, nicht dass Sie noch etwas verpassen.

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Richard Kneffel

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