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Aulakonzert

Unerhörte Ausdruckstiefe

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Das Delian-Quartett zu Gast bei der Göttinger Kammermusikgesellschaft
von Nikolaus Hansmann, erschienen am 20. Februar 2024
Das Delian-Quartett mit Adrian Pinzaru, Andreas Moscho, Lara Albesano und Hendrik Blumenroth in der Göttinger Universitätsaula | © Photo: Michael Schäfer

Auf dem Papier sah es nach einem ganz normalen Kammermusikabend aus. Das Delian-Quartett war am Sonntag in der Aula zu Gast, auf dem Programm je ein Streichquartett von Schostakowitsch und Mendelssohn, dazu vier Sätze aus Bachs „Kunst der Fuge“.

Doch dieser Abend in der Reihe der Aulakonzerte der Göttinger Kammermusikgesellschaft war ein ganz außerordentliches Erlebnis. Zur Pause, nach dem dritten Schostakowitsch-Quartett aus dem Jahr 1946, waren sich viele Besucher einig: Etwas derartig Bewegendes, Erschütterndes hatten sie bislang noch nie gehört. Und Schostakowitsch hatte allen Grund, eine solche Musik zu schreiben. Die furchtbaren Erlebnisse des Zweiten Weltkrieges hatten ihn tief gezeichnet. Auch wenn er das Quartett im Frieden einer Kurortregion in der Nähe von Leningrad im vormals finnischen, nun russischen Karelien schrieb, in einer Holzhaus-Datsche mitten im Wald, ging es ihm um Anklage gegen den Krieg, die musikalische Umsetzung von tödlichen Kämpfen. Er komponierte das Ostinato der in ihren Untergang marschierenden Soldaten.

Mancher dürfte vielleicht gedacht haben, dass der Ausklang mit dem Mendelssohn-Quartett dann zum Ausgleich eine romantische Entspannung bieten würde. Denn Mendelssohn ist ja doch immer liebenswürdig und gut fürs Gemüt. Irrtum. Das f-Moll-Quartett op. 80 – seine allerletzte vollendete Komposition – schrieb Mendelssohn in seinem Todesjahr 1847. In jedem Satz ist die seelische Qual spürbar, die der unerwartete Tod seiner geliebten Schwester Fanny im Mai dieses Jahres ausgelöst hatte. Eigentlich wollte der Komponist sowohl mit einer Reise in die Schweiz als auch mit der musikalischen Arbeit, die er sich vorgenommen hatte, diese Trauer zu bewältigen versuchen, „auf andere Gedanken kommen“, wie man es heute vielleicht naiv formulieren würde. Doch das gelang nicht. Wie wir wissen, hat der Tod der Schwester das Herz Mendelssohns gebrochen. Er starb im selben Jahr. Kurz zuvor hatte er seinen brennenden Schmerz in diesem Quartett in Musik umgesetzt. Eine nirgends sich lösende Unruhe und jähe Intervallsprünge mögen dafür als musikalische Chiffre stehen. Selbst im langsamen Satz in As-Dur erstickt gleichsam jedes Lied ohne Worte, es kann nur in Ansätzen zu singen beginnen. Ja selbst wenn sich in dieser Musik Dissonanzen auflösen, ist an eine Erlösung vom existenziellen Schmerz nicht zu denken.

Die Mitglieder des Delian-Quartetts – die Geiger Adrian Pinzaru und Andreas Moscho, die Bratscherin Lara Albesano und der Cellist Hendrik Blumenroth – haben eine klare Maxime für ihre Interpretation. Das hat ein Rezensent im Berliner Tagesspiegel einmal so formuliert: „Wahrheit geht hier vor Schönheit“. Ja, der Klang dieses Ensembles war in den vorgestellten Streichquartetten von Schostakowitsch und Mendelssohn bisweilen unerbittlich hart und scharf, das war keine freundliche Abendunterhaltung, keine „Musik zum Träumen“, sondern man hörte Töne abgrundtiefer Trauer, vernichtenden Schmerzes. Da ist das Ohr als Empfänger der Nachricht weniger geschützt als das Auge: Wem so etwas zu viel wird, der könnte vielleicht noch wegschauen. Aber hören, das muss er. Und er erfährt dabei die Wahrheit.

Kaum nötig es ist, die hohe musikalische Kunst der vier Musiker zu erwähnen, ihre Präzision im Zusammenspiel, ihre im wahrsten Sinne des Wortes unerhörte Ausdruckstiefe. Aber hervorgehoben sei wenigstens, dass ihr Streben nach Wahrheit in den Sätzen aus Bachs „Kunst der Fuge“ dazu führte, dass deren kompositorische Stringenz überwältigend deutlich wurde. Kein einziger Ton in dieser Musik ist austauschbar, Beliebigkeit gibt es nicht – und trotz all dieser Strenge ist die Musik lebendig, sie atmet, hat keine steinerne Architektur, sondern ist Ausdruck einer menschlichen Seele. Jedenfalls dann, wenn sie so vollendet gespielt wird – und so stilgetreu ohne jedes Vibrato, schlicht, dem Werk dienend. Als kleine Konzession an den Wunsch nach entspannender Harmonie spielte das Quartett ganz am Ende, nach einem geradezu riesigen Abend, als Zugabe „In Love“, ein kleines zärtliches Stück des iranischen Filmmusikkomponisten Peyman Yazdanian. Das können sie auch.

Keinmal brach der Beifall aus wie ein Vulkan, nach dem Schostakowitsch-Quartett gab es einen längeren Moment der Stille, bevor der Applaus einsetzte, ebenso nach der unvollendeten Bachschen Schlussfuge. Und auch nach dem Schluss des Mendelssohns Quartetts war ein Einhalten nötig, bevor die zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörer ihre Begeisterung akustisch zu äußern wagten. Bis hin zu lautstarkem Trampeln.

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Michael Schäfer

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