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Berührende und manchmal auch erschreckend gegenwärtige Nahaufnahmen

Gabriel von Berlepsch, Volker Muthmann, Gaia Vogel | © Photo: Thomas Müller

Die helle Sofalandschaft auf der dt.2-Bühne lässt an eine Festung denken. Sogar die Kissen halten sich an eine Formation, nach Größe und Farbton drapiert, damit nur ja kein wohnlicher Eindruck entsteht. Den Rest erledigt der Saugroboter, der auch prompt auf Gaia Vogels Kommando reagiert. Ihre Nora gönnt sich manchmal kleine selbstironische Momente, aber die nur ganz für sich, wenn ihre Rolle als Prestigeobjekt gerade nicht gefragt ist und auch sonst niemand Ansprüche an sie stellt. Dann muss sie auch nicht mehr diese selbstbewusste, attraktive Pose stemmen und kann ihre innere Erschöpfung preisgeben. In der müden Gestalt, die sich jetzt in die Polter verkriecht, wird eine andere Seite einer wortgewandten und stets anpassungsbereiten Frau spürbar, die in Henrik Ibsens Schauspiel »Nora, oder Ein Puppenhaus« ihre Ehelebensfestung verlässt. In demonstrativen Posen erschöpfen sich auch die anderen Figuren mit ihren Ansprüchen und Forderungen an sich und gegen Nora, denen Regisseur Marcel in seiner Inszenierung in berührenden Nahaufnahmen nachspürt.

Noch läuft alles bestens im elegant gepolsterten Puppenheim. Torvald Helmer genießt den Aufstieg zum Bankdirektor und neben dem gesellschaftlichen auch das materielle Prestige, mit dem er sich noch selbstbewusster und offensiver positionieren kann. Dafür ist ihm seine Nora noch ein bisschen zu leichtsinnig und verschwenderisch. Doch so kurz vor Weihnachten gefällt sich der Hausherr als generöser Ehepartner, den Gabriel von Berlepsch von seiner smarten Seite zeigt, wie er Gaia Vogel jetzt mit einem Hauch von Charme ermahnt. Schon jetzt täuscht der lässige Plauderton über ein starres Konzept von Lebens- und Verhaltensmaximen, die dabei anklingen. Dass Schulden genauso hässlich wie Bittsteller und ihre armseligen Verhältnisse sind und moralische Verwerfungen erst recht ins Abseits führen. Die Frau an seiner Seite hat sich diesen Maximen nicht nur als attraktive Erscheinung zu fügen und auf ihre Figur achten, sondern auch den gesellschaftlichen Status im Blick haben, die Erziehung der Kinder und das öffentliche Standing. Dann wird sie gern mit einem liebevollen „Mein Engel“ bedacht, selbst wenn sie heimlich hochkalorische Kekse nascht.

Mit dem Auftritt des Rechtsanwalts Krogstadt kommt Krisenstimmung in die mühsam erkämpfte weihnachtliche Leichtigkeit. Für einen Kredit bei ihm hatte Nora eine Unterschrift gefälscht, als der Gatte lebensbedrohlich erkrankt war und damit einen Kuraufenthalt in Italien finanziert. Marco Matthes lässt ihn mit subtilen Drohgebärden bei seinem Erpressungsversuch argumentieren. Auch Krogstadt bedrängen juristische Altlasten, die ihn anders als Nora ins gesellschaftliche Abseits stürzen ließen Er drängt auf ihre Fürsprache bei dem neuen Bankdirektor und will auch seine Macht- und Erfolgsobsessionen nicht verbergen. Ebenfalls vitale Interessen signalisiert Noras Jugendfreundin Christine bei ihrem Besuch im Puppenhaus. Einer Anstellung als Sekretärin stimmt der umtriebige Hausherr zwischen Büroenklave und Sofalandschaft wohlwollend zu, während sich dort ein weiteres tückisches Konfliktfeld ankündigt. Mit der Geschichte Christines, die Andrea Strube scheinbar pragmatisch nachzeichnet und wie eine junge Frau auf eine lukrative Versorgungsehe spekuliert hatte, damit auch auf den Unterhalt ihre Mutter und ihre Geschwister, um sich jetzt als einsame Witwe mit noch mehr Arbeit einen Lebenssinn schaffen zu müssen. Und dass es die attraktive und verschwenderisch aufgelegte Nora doch viel leichter hatte und immer noch hat, die jetzt endlich sagen kann muss, was sie für das Vertrauen in ihr Ehebündnis alles auf sich genommen hat.

Auch hier fragt die Inszenierung in ihren Nahaufnahmen nach, was sich in dieser männlich dominierten Gesellschaft noch alles in Schieflage befindet, wenn sich Neid und Eifersucht in weibliche Lebensentwürfe eingenistet haben, und der gesellschaftliche Status zum Makel deklariert wird. Eine moralisch resolute Christine wird diese Nora in den Offenbarungseid mit ihrem Mann drängen, anstatt ihr beizustehen, als ob sich in ihr die Stimme des ethisch moralischen Tugendwächters Torwald Helmer spiegelt, während sie sich gleichzeitig mit ihrer Jugendliebe Krogstadt für eine gemeinsame Zukunft versöhnt.

Emotionen und Sehnsüchte werden in Ibsens beengendem Szenario weiträumig gemieden und nur im Extremfall preisgegeben. Sie kommt in der anderen Seite des gemeinsamen Hausfreundes Dr. Rank für einen kurzen Moment zur Sprache, wenn Volker Muthmann sich von der Rolle des immer liebevoll zugeneigten und verständnisvollen Zuhörers löst. Mit einer Liebeserklärung für Nora und dem endgültigen Befund über seine tödliche Krankheit. Von ihm vernimmt sie die Worte, die sie von einem empörten Torvald ersehnt, der ihr nicht mit Leib und Seele zur Verfügung steht, nachdem er die Bedeutung des Schuldscheins erfahren hat. Das wütende Ego sieht sein Glück, seine Karriere und seine Zukunft zerstört von einer Verbrecherin, die in der Familienfestung verbannt werden muss, um nach einer erlösenden Nachricht wieder seinen Engel zu umschwärmen und die Polster zurecht zu rücken. 

Die Frau, die jetzt das Puppenhaus verlässt, wird sich der Frage ihrer Selbstbestimmtheit stellen. Unter welchen Bedingungen auch immer kündigt sie die Verhältnisse auf, die in diesen berührenden und manchmal auch erschreckend gegenwärtigen Nahaufnahmen noch lange nachwirken.

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Tina Fibiger

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