Willkommen im Kulturportal vom Kulturbüro Göttingen. 

Hier finden Sie Termine und Nachrichten aus dem Kulturleben der Region. Sie können sich einloggen oder neu registrieren, Ihr Abonnement abschließen oder verwalten, in dem Sie auf das Menü rechts klicken. (Die drei kleinen schwarzen Balken.)
Mit einem bezahlten Abonnement haben Sie Zugang zu allen Texten und Funktionen – und unterstützen die Arbeit des Kulturbüros.

Artikel über das Kunsthaus Göttingen

Erinnerung ist kein Nullsummenspiel

Sabine Hess im Gespräch mit Max Czollek und Charlotte Wiedemann

Das Literarische Zentrum hat zusammen mit dem studentischen Lehrforschungsprojekt Göttingen dekolonial zu einem Abend zur gegenwärtigen Erinnerungskultur eingeladen. Sabine Hess unterhielt sich mit Charlotte Wiedemann und Max Czollek unterhalten.

Mit dem Erinnern ist es so eine Sache, gerade in Deutschland. In vielen Familien wird die Zweite-Weltkrieg-Vergangenheit verschwiegen oder gar verschönert. Selbstredend waren alle Verwandten im Widerstand und haben Verfolgte versteckt oder haben bei der Flucht geholfen. Die Kolonialvergangenheit ist gar teilweise nichtmehr in den Köpfen und wird getrost beiseitegeschoben. Sie wird oftmals noch nicht einmal in der Schule behandelt, geschweige denn in der Gesellschaft aufgearbeitet und verschwindet auf diese Weise Stück für Stück aus dem kollektiven Gedächtnis. Erinnerungen! Sie prägen uns, unser Handeln, die Gegenwart und die Zukunft. Welche Erinnerungen sind wie geprägt und welche Konsequenzen resultieren aus den Erkenntnissen. Wie kann solch ein Vergessen gestoppt und ein angemessenes Gedenken und Aufarbeiten aller Gräueltaten gelingen? Denn wie es Max Czollek, einer der Gäst:innen, trefflich ausdrückt: „Erinnerung ist kein Nullsummenspiel“. 

Mitten in den Anfängen des Aufbaues eines Stadtlabors in Göttingen zur Erarbeitung von Wegen zur De- bzw. Antikolonialen Stadt, fand an diesem Abend, in Zusammenarbeit mit dem studentischen Lehrforschungsprojekt Göttingen dekolonial im Literarischen Zentrum ein Abend zum Thema gegenwärtige Erinnerungskultur statt. Zu Gast und im Gespräch mit der Professorin für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie Sabine Hess sind die Journalistin und Autorin Charlotte Wiedemann und der Autor und Kurator Max Czollek. Sowohl Wiedemann in Den Schmerz der Anderen also auch Czollek in Versöhnungstheater zeigen sehr eindrücklich und präzise die fehlende Empathie und den fehlenden Willen zur Aufarbeitung und zur Wiedergutmachung hinsichtlich des beispielsweisen Genozid an den Herero oder die systematische Ermordung an Jüd:innen. Ein unbegreifliches wie ebenso erschreckendes Model jener fehlenden Empathie und mangelnden Willen zum Handeln ist das Südwestafrika-Denkmal in Göttingen, exemplifiziert Sabine Hess. Das Südwestafrika-Denkmal wurde in den 1910er Jahren zur Erinnerung an die im Vernichtungskrieg gefallenen Soldaten errichtet. Mittlerweile wurde jener Krieg als Genozid anerkannt, ergänzt Hess und das Denkmal um eine kleine Tafel, welche diesen Fakt klarstellt, erweitert. In Göttingen steht somit noch immer ein Denkmal für die Täter, jedoch keines für die ermordeten Oper der Tat. Der Herero-Nachfahre und Aktivist Israel Kaunatjike sagte in einem Interview in Bezug auf jenes Denkmal: „Geschichte lässt sich nicht verstecken.“, führt Sabine Hess weiter aus. 

Eine beunruhigende Tatsache ist der noch immer zu führende Kampf hin zur Aufklärung, betont Wiedemann. Meist muss sich Erinnerung zunächst gegen Täterschutz und andere Widerstände durchkämpfen und erst im nächsten Schritt ist die eigentliche Aufarbeitung möglich. Meist verändern Fortschritte die hierzulande errungen werden, führt Charlotte Wiedemann aus, für die Opfer der ehemaligen Kolonien nichts. Für sie gelten andere moralische Vorstellungen, weshalb keine Wiedergutmachung geleistet wird oder gar Entschädigungen gemacht werden. Erschreckenderweise werden Politiker:innen der ehemaligen Kolonialmächte erst dann tätig, wenn Gerichte sie dazu zwingen. Es findet in solchen Fällen zwar eine Anerkennung statt, meist geht mit derartigen symbolischen Gesten jedoch keine Wiedergutmachung einher, so Max Czollek. Es sind keine Entschuldigungen fußend auf Eigeninitiative, sondern erzwungene Maßnahmen und Ergebnisse die auf langen Kämpfen der Betroffenen basierend, ergänzt Wiedemann. 

Aktuell formiert sich eine neue Formation von Staatlichkeit the smiling, apologizing, remembering state of diverstity, beobachtet Max Czollek. Für den Autor haben die Staaten in den letzten Jahren den symbolischen Akt perfektioniert, jedoch nie Handlungen oder Resultate folgen lassen. Die Errungenschaft der auszuführenden Akte, lag an den in den Jahrzenten zuvor geführten Kämpfen, betont Wiedemann. Nichtsdestotrotz, da sind sich Czollek und Wiedemann einig, muss immer weiter kritisiert werden, denn gehandelt wird von Seiten der Politik nicht. Ein äußerst passendes Beispiel für dieses Vorgehen skizziert der Autor an der Klimabewegung. „Es ist Protestler:innen egal, ob es eine Statue gegen CO2 gibt, es ist wichtig, dass CO2 eingespart wird.“

„Was ist der CO2-Ausstoß der Erinnerung?“ Mit dieser gleichermaßen humorvollen, wichtigen und sehr ernsten Frage endet eine aufrüttelnde und bewegende Diskussion. Während das Thema des Abends und die durch die beiden Gäst:innen geführte Debatte wichtig und interessant war, gab es gleichzeitig oftmals zu wenig Zeit und Raum für weitere, tiefergehende Gespräche und Nachfragen. Nebst der an vielen Stellen fehlenden Zeit, war es ein denkwürdiger und bewegender Abend, der eine Thematik wieder in den Fokus stellt, die schon lange Gegenstand gesellschaftlicher Debatten und des Handelns, sowohl in der Politik, als auch im alltäglichen Leben, sein sollte. Die umfangreich erschienenen Zuhörer:innen waren ebenso begeistert und applaudierten begeistert. 

Keine Kommentare

Lukas Prießnitz

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.