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Artikel über das Kunsthaus Göttingen

Reiseführerin durch das 18. Jahrhundert

Angela Steidele und Daniel Göske im Alten Rathaus Göttingen | © Photo: Widemann

»Aufklärung – ein Roman«, so hat Angela Steidele ihr Werk betitelt. Vermessener wäre nur »Aufklärung - DER Roman«, wie sie mit Prof. Daniel Göske, Präsident der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, während des Gesprächs im Alten Rathaus im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes scherzte. 

Geschrieben habe sie einen Roman über die Gegenwart; angetrieben durch ihre Verzweiflung über die irrationalen Zeiten, in denen wir seit gut zehn Jahren leben, und als Resümee ihres bisherigen Werks, so Steidele. 

Luise Gottsched, um die sich in diesem Buch vieles dreht, war bereits in der Dissertation Steideles »Als wenn Du mein Geliebter wärest – Liebe und Begehren zwischen Frauen in der deutschsprachigen Literatur 1750 – 1850« Gegenstand ihrer Forschung. Hier spannt sich der große Bogen bis zum aktuellen Buch, das ein lebhaftes Bild der Leipziger Gesellschaft in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeichnet – immer mit dem Blick auf und aus dem Blick von Frauen. 

Steidele hat Dorothea, die ältestes Tochter Johann Sebastian Bachs, die Rolle der Erzählerin gegeben, nachdem sie zunächst mit einer Version des Buchs begonnen hatte, die etwa 50 Seiten lang in der dritten Person geschrieben war. Aber Dorothea erwies sich als so wichtig, dass sie nun mit ihren Erinnerungen und ihrer Sicht auf die Dinge die Leser:innen durch das Buch geleitet. Das ist ein geschickter Kunstgriff, denn von Dorothea gibt es im Gegensatz zu ihren Halbbrüdern wenig gesicherte Informationen, so dass sie eine ideale Projektionsfigur ist, Bekanntschaften schließen und ihre Sicht der Dinge berichten kann – die natürlich ein Spiegel der heutigen Sicht auf das Frauenbild und -leben der damaligen Zeit ist.

Dorothea war ebenfalls musikalisch und ist ihrem Vater viel zur Hand gegangen. Dieser schreibt in einer kurzen Notiz, dass sie im Familien-Ensemble "nicht schlimm einschläget" – also im heutigen Sprachgebrauch gut singen kann. Das ist die einzige, zeitgenössische Information über sie. Und so beginnt der Roman mit einer Kaffeehausszene, in der Bachs Kaffeekantate aufgeführt wird mit Dorothea als Sängerin. Und schon in dieser Szene werden viele der handelnden Personen vorgestellt, wie es insgesamt im Buch wimmelt mit einer mehr als üppigen Personalausstattung: die große Familie Bach, Professor Johann Christoph Gottsched mit seiner frisch angetrauten jungen Frau Luise, Bachs Librettist Christian Friedrich Henrici alias Picander, der mit schlüpfrigen Bemerkungen und Texten zitiert wird, die Schriftsteller Christian Fürchtegott Gellert und Gotthold Ephraim Lessing und natürlich starke Frauen wie die Salon-Gründerin Christiana Mariana Ziegler und die Theaterprinzipalin Caroline Neuber. 

Daneben kommen viele weiter Berühmtheiten der Zeit sozusagen auf Stippvisite in Leipzig vorbei. Das sorgt für reichlich Gesprächsstoff, eine muntere Mischung der Themen und viele historische Anekdötchen, bei denen man auch auf Zitate der Gegenwart stößt; ein großer Spaß und eine Anregung zum aufmerksamen Lesen. 

Dorothea Bach schreibt über diese Zeitspanne in ihren Erinnerungen und so werden diese Brechungen und Modernismen auch aus ihrer Sicht noch einmal interpretiert. Viele Details sind historisch gesichert und präzise geschildert, aber es ist eben ein Roman und kein Sachbuch – weder historisch noch musikalisch. So bleibt aus Dorotheas Sicht die Frage offen, ob sie sich richtig erinnert, dass Luise Gottsched den Text für Bachs Weihnachtsoratorium geschrieben hat. 

Natürlich liest Steidele auch mehrere Passagen aus dem Buch und dieses so gekonnt und unterhaltsam – mit verschiedenen Sprechstimmen und Sprachfärbungen – dass es ein echter Ohrenschmaus ist. Im sehr unterhaltsamen Gespräch mit Göske erzählt sie vom Entstehungsprozess und von Dorothea als Reiseführerin für die heutige Leserschaft durch das 18. Jahrhundert, die in Gesprächen und Bemerkungen viele Details zum damaligen Leben mitteilen kann, ohne dass die Leichtigkeit des Textes darunter leidet. Auch wenn manches fiktiv ist, beruhen doch 95 % der Informationen auf historischer Überlieferung. Fleissig wurde also recherchiert und auch mit zahlreichen Fußnoten dokumentiert. Diese seien aber als Verführung zum Weiterdenken gedacht, so Steidele. Da Musik im Buch eine große Rolle spielt, präsentiert es sich auch multimedial mit je einer eigenen Playlist auf Youtube und Spotify.

Und so endet der Abend dann auch wie er begonnen hat mit einem weiteren Ohrenschmaus: mit den Klängen von Bachs Kaffeekantate.

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Maria Widemann

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