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Artikel über das Kunsthaus Göttingen

„Wir sind ja schließlich im Radio.“

In Schönheit vereint: Moshtari Hilal & Gabriele von Arnim. Links im Bild: Moderator Alexander Solloch
In Schönheit vereint: Moshtari Hilal & Gabriele von Arnim. Links im Bild: Moderator Alexander Solloch @ Alciro Theodoro da Silva

Schon die Besetzung der Veranstaltung ist ein unfreiwilliges Spiel mit den gesellschaftlichen Idealen bzw. Zuschreibungen, um die sie sich dreht. Hier die – in allen Ehren – ergraute, vom Leben im besten Sinne des Wortes gezeichnete (gemalte?), gleichwohl mit einem unerschütterlichen, zugleich altersmilden und jugendlichen Lächeln versehene deutsche Journalistin und Schriftstellerin, dort die viereinhalb Jahrzehnte jüngere gebürtige Afghanin, Live-Painterin, Street-Artistin – und nun auch Schriftstellerin. Eine von beiden hat ein Buch über „Hässlichkeit“ vorgelegt, die andere eine Suche über den „Trost der Schönheit“. Nur dem äußeren Anschein nach und ohne den Hintergrund der zwei Publizistinnen zu kennen: Können Sie entscheiden, welches Werk zu welcher Autorin gehört?

Hand aufs Herz: Die Tatsache, dass ausgerechnet die aparte Asiatin über Hässlichkeit nachdenkt, während die 1946 geborene promovierte Soziologin und Politikwissenschaftlerin der Schönheit huldigt, kollidiert treffsicher mit unserer Erwartungshaltung. Weiter voneinander entfernt könnten die Ausgangspunkte der literarischen Reise und deren Reiseleiterinnen kaum sein. Vermeintlich. Denn natürlich sind Schönheit und Hässlichkeit am Ende des Tages zwei Seiten ein und derselben Medaille. (Selbst, wenn Moshtari Hilal letztere ganz entschieden nicht als eine Zuschreibung äußerer Attribute verstanden wissen will. Kein Sammelbecken für Oberflächlichkeiten ist sie in ihren Augen, sondern, wenn man so will, die Senkgrube für alles Hassenswerte.) Entsprechend dominiert die Schnittmenge.

Gemeinsam ist Hilal und von Arnim der autobiographische Ansatz, der aus eigenen Erfahrungen, den persönlichen Stupsern und Schlägen des Schicksals schöpft, um sie in starke Gedanken und noch stärkere Metaphern zu transzendieren, in Stärke letztlich – für sich und andere. So heißt es bei von Arnim etwa, gerade in dieser Zeit gelte es, „schöne Gegengifte zu brauen“. Treffer. Keine Kulturgeschichte der Schönheit habe es werden sollen, sondern „ein Buch über mich“, ein Mäandern“, dessen Fluss nicht durch Kapitel durchbrochen wird. Brücken habe sie schlagen wollen. Da blieb es wohl nicht aus, dass sie verschiedene Themen aufnahm, gleichwohl die Schönheit von Gesichtern allein ihr Augenmerk nicht vollends absorbieren konnte, zu breit gefächert ist es: Interesse an der Schönheit, die in der Musik, in einem Lächeln oder Moment liegen kann. Ein dünnes Buch habe sie schreiben wollen, ein halb- oder wenigstens vierteldünnes sei es geworden. Die Heiterkeit im Publikum ob dieser Bemerkung kontert sie mit einem Bonmot des Verlegers Heinrich von Berenberg: „In jedem dicken Buch steckt ein dünnes, das schreit: Ich will raus!“

Demgegenüber ist das Gesicht für Hilal von entscheidender Bedeutung, ein ganzes Kapitel ist etwa der Nase gewidmet. Sie schildert eine Begegnung mit einem Gleichaltrigen beim Kinderkarneval. Das Mädchen hat eine große Pappnase im Gesicht, der Junge flüstert ihr mit einem Grinsen zu, die brauche sie doch gar nicht. Es sind Erlebnisse wie diese, die eine Odyssee lostreten, an deren Ende indes Selbstvergewisserung und -behauptung stehen. Hilal hat sich intensiv mit dem sozialen Druck, auch durch Social Media, beschäftigt, der einen ständigen Drang zur Selbstoptimierung zeitigt. Qua Beruf, das liegt auf der Hand, ist sie zur Beschäftigung mit Äußerlichkeiten gleichsam verdammt. Dieser Beruf andererseits bot die Chance, den Raum, sich anzunehmen: zeichnen und porträtieren kann man schließlich auch sich selbst. Warum – so habe sie sich gefragt – und von wem brauche sie Bestätigung? Eine Bekannte ergänzte diese Frage durch zwei weitere: Warum haben wir Angst vor Hässlichkeit? Und: Was können wir von ihr lernen?

Gemeinsam ist von Arnim und Hilal die Dringlichkeit ihres Anliegens. Dies zeigt sich in einer deutlich anderen Tonalität in Gespräch und Vortrag. Beide sind äußerst dankbare Interviewpartner, sympathisch, eloquent, understated. Hilal hat eine ausnehmend einnehmende Sprechstimme, ein Umstand, den auch Moderartor Alexander Solloch konstatiert: Bevor er sie das erste Mal gesehen habe, habe er sie gehört. Und sich gedacht, diese Stimme könne nur einem schönen Menschen gehören. Ihr Vortragston unterscheidet sich substantiell von dem der freien Rede, tastet die Worte behutsam ab, als würde ihre Schöpferin ihrer selbst das erste Mal gewahr – und ihres Gehalts. Wenn letzterer indes erst einmal erkannt ist, droht schnell die Gefahr, ins allzu Gehaltvolle zu kippen, ins Pastorale. Von Arnim wiederum schlägt, angestiftet durch die Fragen Sollochs, an mancher Stelle einen in seiner schonungslosen Ehrlichkeit beinahe schon brutalen, schäkernden Ton an. Mit der gleichen Ehrlichkeit fällt sie sich dann indes während ihres Vortrag des Prologs quasi selbst ins Wort, setzt erneut an: „Ich lese das lieber nochmal. Wir sind ja schließlich im Radio.“ Was nur zeigt, wie aufgeregt sie ist. Was sie menschlich macht. Was schön ist.

Überhaupt sollte man sich von allzu absoluten Begriffen verabschieden, findet Hilal; hässlich gehöre dazu. Sie bietet einen Ausweg an: das Wort „großartig“. Gute Idee, findet von Arnim. Ein gelungener Abschluss für einen gelungenen Abend. Man könnte ihn sogar großartig nennen – wäre da nicht die ambivalente Umdeutung. Schön blöd.

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Jan Hendrik Buchholz

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