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Artikel über das Kunsthaus Göttingen

Tabu oder Kulturgut?

Madita Oeming und Fikri Anıl Altıntaş © Dietrich Kühne
Schenken reinen Wein ein: Madita Oeming und Fikri Anıl Altıntaş © Dietrich Kühne

Schon erstaunlich, wie viele Menschen am Abend des 31.10. auf dem Rathausplatz zusammengeströmt sind. Welches Event erweist sich als derartiger Publikumsmagnet?

Es mag am Titel des Talks liegen („Porno und Männlichkeit“), gleichermaßen am Titel des Buches, aus dem gelesen und über das gesprochen wird: „Porno – eine unverschämte Analyse“. Geschrieben hat es Madita Oeming, Porno-Wissenschaftlerin und -Forscherin. Sich selbst beschreibt sie als „sex-positive Feministin und Lustaktivistin“ als „Brückenbauerin zwischen Academia, Pornoindustrie und breiter Öffentlichkeit“. Sie untersucht und erforscht das Thema aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Ihr Gesprächspartner ist Fikri Anıl Altıntaş, selbst freier Autor, der sich in seinen Texten unter anderem mit Männlichkeit und männlichen Rollenbildern beschäftigt.

Der Rathaussaal summt von vielstimmigem, heiteren Gemurmel. Dass es nun in diesem altehrwürdigenSaal in den nächsten eineinhalb Stunden um nichts anderes gehen soll als um Lust und Sex, führt zu einer Diskrepanz zwischen Setting und Inhalt, die überraschend komisch wirkt, entsprechend humorvoll leitet Altıntaş den Abend ein: Alle Zuhörer:innen, die schon Pornos geschaut haben, werden gebeten, die Hand zu heben. Kaum ein Arm bleibt unten. Das Publikum ist also aus eigener Anschauung mit dem Thema vertraut, jetzt offenbart Madita Oeming ihren persönlichen Blick auf das Thema Pornografie – genauer: Porno, wie er uns im Alltag begegnet – anhand von Passagen ihres Buches und von Fragen Altıntaş’.

Trotz eigener, positiver und unaufgeregter Einstellung nimmt sie das Sujet als durchaus ambivalent wahr. Porno entziehe sich, so Oeming, einer einfachen und einheitlichen Definition, er sei ein Unterhaltungsmedium mit dem Ziel der Erregung der Zuschauenden – in diesem Sinne Masturbationshilfe, aber auch Kulturgut, eine Ausdrucksform und unserem Alltag immanent. Sie plädiert für einen unbefangenen, offenen Umgang mit der Thematik und kritisiert den Abwertungscharakter, den der Begriff Porno bereits seit der Moderne enthalte, wenn es um die Bewertung mehr oder minder künstlerisch-medialer Erzeugnisse gehe.

Sie sieht die Epoche der Aufklärung mit ihrer Betonung von Geist und Vernunft als Quelle von Körper- und Lustfeindlichkeit. Zwar habe sie die Menschen von blindem Glauben und Gehorsam gegenüber kirchlichen Dogmen und Restriktionen befreit, nicht aber von Verklemmungen und Tabus, was lustvolle Körperlichkeit betreffe. Weiterhin greift sie historische Beispiele einer Medienpanik auf. Die Angst vor jugendlicher Lesesucht und der schädlichen Wirkung  einer durch Literatur verzerrten Wahrnehmung der Realität, wie sie im ausgehenden 18. Jahrhundert grassierte, gleicht laut Oeming der Angst, Jugendliche könnten durch Porno-Konsum verdorben werden. Als Ursprung dieser Medienpanik erkennt sie einen durch Medienwandel hervorgerufenen, gesellschaftlichen Wandel, durch welchen sich konservative Kräfte bedroht sähen.

Fikri Anıl Altıntaş und Madita Oeming widmen sich anschließend näher dem Männlichkeitsbegriff, ohne den die Analyse von Pornos kaum auskommt. Wendet sich Porno an eine ausschließlich männliche Zuschauerschaft, will also nur deren Fantasien bedienen? Ist die Frau im Porno stets objektiviert, fragmentiert und zum Instrument männlicher Lustbefriedigung degradiert? Verdirbt der Pornokonsum die Jugend? Zerstört er Beziehungen? Löst er eine neue bedenkliche Form der Sucht aus? Wie nutzen Frauen Pornos? All diesen Fragen und Bedenken, die ursächlich für die Ablehnung und den schambehafteten Umgang mit Pornos sind, geht Madita Oeming in ihrem Buch nach, klärt die Faktenlage und vermag es auf diese Weise, Kritikpunkte zu relativieren.

Die Objektivierung von Frauen, so stellt sie klar, übertreffe in Pornofilmen keineswegs die von Männern, welche dort lediglich auf ihren erigierten Penis reduziert seien und so letztlich konsequenter entpersonifiziert würden als Frauen. Tatsächlich tauche in der Mehrzahl aller Pornofilme die Frau als Initiatorin sexueller Handlungen und somit als handlungs- und entscheidungsfähige Kraft auf, die den Mut habe, der eigenen Lust zu folgen. Man könne viele Pornos daher als durchaus emanzipatorisch betrachten.

Pornos müssten als eine Inszenierung von Sex verstanden und deshalb von gelebter Sexualität unterschieden werden. Oeming sieht Jugendliche zu dieser Unterscheidung in der Lage, räumt aber ein, dass das offene Gespräch notwendig sei, falls Begegnungen mit Pornos sie verstören oder belasten sollten. Auch Menschen, die einen ungesunden Umgang mit Pornos entwickeln, sollten von Hilfsangeboten profitieren können. Deren Zahl ist, wie Madita Oeming in ihrem Buch aufzeigt, sehr gering. Das zwanghafte Verhalten, vor dem oft als „Porno-Sucht“ gewarnt werde, sei eher als Störung der Impulskontrolle einzuordnen. Was den Suchtcharakter betreffe, so sei für schädliche Auswirkungen auf den Rezipienten nicht die Häufigkeit des Konsums, sondern der entstehende Leidensdruck maßgeblich, der oft aus dessen Stigmatisierung resultiere.

Für Amüsement sorgen beim Publikum die Ausführungen verschiedener Vorlieben von Nutzerinnen und Nutzern auf Internetplattformen wie Pornhub; andererseits liegen sie geschlechtsspezifisch überraschend dicht beieinander. Da Madita Oeming selbst Pornos offen und unverschämt – sprich: ohne Scham, wie der Untertitel ihres Buches wohl gelesen werden muss – gegenübersteht, schreibt sie der Nutzung durchaus positive Effekte zu: als Inspiration, Orientierungshilfe, als Mittel zur Erregung, aber auch schlicht zur Unterhaltung. Wie Dramen uns zum Weinen brächten und Komödien zum Lachen, seien Pornos eben dazu da, uns zu erregen – interessanterweise vor allem durch Darstellungen, die unseren tatsächlichen sexuellen Wünschen oft entgegenstünden: von Fantasien, die, real ausgelebt, Angst statt Lust auslösen würden. 

Madita Oeming plädiert für eine Medienkompetenz, die Pornos einschließt statt ausgrenzt, um zu einer offeneren, befreiteren Sexualität zu gelangen. Ohne ehrliche und unverschämte Gespräche allerdings lassen sich Sorgen, Ängste und Probleme nicht lösen. Gespräche wie dieses.

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Kerstin Kratzsch

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