Willkommen im Kulturportal vom Kulturbüro Göttingen. 

Hier finden Sie Termine und Nachrichten aus dem Kulturleben der Region. Sie können sich einloggen oder neu registrieren, Ihr Abonnement abschließen oder verwalten, in dem Sie auf das Menü rechts klicken. (Die drei kleinen schwarzen Balken.)
Mit einem bezahlten Abonnement haben Sie Zugang zu allen Texten und Funktionen – und unterstützen die Arbeit des Kulturbüros.

Artikel über das Kunsthaus Göttingen

Von notwendigen und weniger notwendigen Sünden

Arnon Grünberg und Julia Francke im Alten Rathaus Göttingen | © Photo: Wortmann

Es gibt notwendige und weniger notwendige Sünden. So beginnt der Roman »Gstaad« von Arnon Grünberg. Mit diesem bereits 2002 geschriebenen, aber erst jetzt auf deutsch erschienenen Buch war der Autor zu Gast beim Göttinger Literaturherbst 2023. Gesprächspartnerin an dem Abend war die Schriftstellerin Julia Franck, die Herausgeberin der »Anderen Bibliothek« ist, in der das Buch erschienen ist.

Franck führte zunächst in das Buch ein, das „innerlich fast unheimlich, bisweilen aber auch lustig“ sei. Geschrieben hat es Arnon Grünberg im Jahr 2002, es wurde unter dem Pseudonym Marek von der Jagt veröffentlicht. „Ich wollte mal wissen, wie ein Buch eines vollkommen unbekannten Autors aufgenommen wird“, bekannte Grünberg. Das Schreiben unter einem Pseudonym sei allerdings auch eine Befreiung gewesen. 2002 war Grünberg bereits erfolgreicher Schriftsteller in den Niederlanden. Und als »Gstaad« erfolgreich wurde, kam irgendwann auch die Wahrheit ans Licht.

„Ich habe vor Grünberg Angst. Ich versuche dagegen anzukämpfen, aber vergeblich.“ So sprach Erfolgsautor Daniel Kehlmann über seinen Kollegen Grünberg. Dieser versteht diese Aussage eher als Kompliment. Angst haben muss man aber eher nicht – vor diesem Buch schon einmal gar nicht. Es ist ein Schelmenroman des Hochstaplers François Lepeltier. Es ist aber auch ein Mütter-Roman. Von Müttern handeln viele von Grünbergs Büchern. „Das Lieblingsbuch meiner Mutter ist »Amour fou«, verriet er. Auch das Buch veröffentlichte er unter dem Pseudonym, aber schon da kamen erste Zweifel, ob es nicht vielleicht doch von Arnon Grünberg sei.

Zu »Amour fou« bemerkte eine Rezensentin, es sei ein „unspektakulär-tragikomisches“ Buch. Und Julia Franck bemerkte in der gut besuchten Rathaushalle in Göttingen, Grünbergs Bücher seien „absurd-tragisch-komisch“, ein Fachbegriff für diese Art von Literatur fehle leider. 

Und worum geht in »Gstaad«? Lepeltier erzählt aus seinem abenteuerlichen Leben, von seiner Mutter, die ihn im Alter von 19 Jahren zur Welt brachte. Von ihrer Arbeit als Zimmermädchen in einer Pension in Baden-Baden. In Stuttgart gibt er sich als Zahnarzt aus. „In jedem Menschen steckt ein kleiner Zahnarzt“, bemerkt Grünberg, bevor er aus dieser Passage liest. Später reüssiert Lepeltier als Skilehrer, später als Sommelier im noblen Palace Hotel in Gstaad.

Julia Franck zieh eine ganze Reihe von Fäden – unter anderem zu Filmen über Gstaad. So zum Beispiel die gerade erst entstandene satirische Komödie von Roman Polanski »The Palace«. „Ich glaube kaum, dass Polanski mein Buch gelesen hat,“ meint Arnon Grünberg. Aber auch zu anderen Schriftstellern wie zum Beispiel Günter Grass oder Philip Roth. „Joseph Roth ist mir der liebere Autor,“ weicht Grünberg aus. „Er ist europäischer. Und er war auch ein Hotel-Mensch, wie ich.“ Womit Grünberg wieder beim Hotel Palace landet.

„Bist du ein Nomade oder ein Kosmopolit?“ wollte Julia Franck wissen. „Beides bitte nicht“, sagte Grünberg sofort. Er erzählte aus seiner Kindheit und Jugend. Als Sohn von deutschen Eltern hat er häufig in Pensionen deutscher Kurstädte Urlaub machen müssen (oder dürfen). Dadurch sei er viel herumgekommen. Jetzt lebt er in New York und liebäugelt mit der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft. In den Niederlanden sind jedoch keine zwei Staatsbürgerschaften erlaubt. „Also hole ich mir die deutsche Staatsbürgerschaft und nehme die Möglichkeit wahr, dann die amerikanische ebenfalls anzunehmen.“ New York sei derzeit sein Zuhause. „Zuhause ist für mich etwas Fließendes“.

Genauso fließend wie für seinen Protagonisten François Lepeltier. Nur weiß man bei dem nicht so genau, was tatsächlich davon wahr ist, was nur übertrieben ist und was ganz und gar erfunden ist. Grünbergs Themen ist immer wieder auch die Suche nach der Identität, das wird auch in »Gstaad« schnell deutlich. Dabei spielt auch die zum Teil sogar intime Beziehung zur Mutter eine Rolle. „Aber ich entdecke jetzt, 22 Jahre nachdem ich das Buch geschrieben habe, immer neue Details. Ich bin überrascht, was ich alles entdecke!“ 

Grünberg liest noch weitere Passagen. Er liest mit ruhiger Stimme – und einem sympathischen niederländischen Akzent. Im Gespräch mit Julia Franck geht es am Ende um die Suche nach der Identität, aber auch um Grünbergs Humor, der auch bei den von ihm gelesenen Passagen immer wieder hervorblitzt. „Manchmal muss man aber auch ernst sein – aber nicht den ganzen Tag!“ 

Sein François Lepeltier übertreibt, stapelt hoch und bleibt keineswegs immer bei der Wahrheit. Er führt ein unstetes und unsolides Leben – gespickt von zahlreichen Grenzüberschreitungen. So beschreibt Grünberg die Definition von Sünde. „Es gibt notwendige und weniger notwendige Sünden.“

Keine Kommentare

Jens Wortmann

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.