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Artikel über das Kunsthaus Göttingen

Dieses Dingsda – ein Werkstattgespräch in drei Akten

Gerhard Steidl, Lisa Kunze, Heinrich Detering und Adeline Henzschel im Literaturhaus Göttingen | © Photo: Widemann

Wer auch immer im Publikum an diesem Abend im vollbesetzten Literaturhaus saß, wird jeden Text, jede Graphik und jede Skulptur von Günter Grass ab sofort mit neuen Augen lesen und sehen. Wie im Reigen zogen sich einige Motive durch den Abend, so wie sie auch in Grass‘ Leben und Werk von der Frühzeit bis zum Ende eine Rolle gespielt haben: die krummen Sargnägel, Federn, Pflanzen und Tiere jeder Art oder später auch der ausgemusterte, eigene Herzschrittmacher als Memento mori. 

Und eines wurde in allen Beiträgen der vier Podiumsteilnehmer:innen deutlich: Grass‘ Art zu arbeiten war von Beginn an auf Interaktion zwischen der belebten Welt und den unbelebten Dingen gegründet, und manche dieser Dinge begleiteten ihn im wahrsten Sinne des Wortes tagtäglich in seinen Taschen. Ein mumifiziertes Tier konnte ihn zu einem Text inspirieren genauso wie Texte in verschiedenen Genres und Reifegraden untereinander wechselwirkten und diese wiederum Anstoß zu graphischen Umsetzungen gaben. 

Heinrich Detering führte als Moderator und Grass-Kenner in den Abend ein und ließ diverse Leitmotive in Gestalt dieser Dinge anklingen und durch alle drei Akte des Abends hindurch aufleuchten. Den ersten Akt betitelte er mit »Werkstatt und das eigenartige Eigenleben der Dinge«. Die Arbeitsumgebung des Literaturnobelpreisträgers war im wirklichen Sinne des Wortes eine Werkstatt – kein Arbeitszimmer oder Atelier. Die verschiedenen künstlerischen Techniken, Ebenen und Ausdruckweisen befruchteten sich gegenseitig, und Schreiben, Zeichnen und plastisches Gestalten fanden in einem einzigen Raum statt, in dem sich der Schaffensprozess und der spielerische Umgang mit der Materie inmitten der kunterbunten, sich stetig vergrößernden Sammlung der Dinge vollzog. 

Der zweite Akt widmete sich dem Frühwerk unter dem Motto »vom Anfang zur Mitte«. Adeline Henzschel, die an einer Dissertation über die Gegenstände in Grass‘ Frühwerk arbeitet, stellte kurz und eher akademisch dozierend als erzählend die Ergebnisse und Erkenntnisse ihrer Forschung dar. Das bereits zu Beginn von Grass‘ Schaffen die Interaktion der Dinge und die Wandelbarkeit der Perspektiven eine wichtige Rolle spielten, belegte sie an einigen Beispielen, zum Beispiel am Gedicht »Geöffneter Schrank«. Der Schritt vom Schrank zum Material Kiefernholz führte direkt zum Thema Klimaschutz und Waldsterben, mit dem der Schriftsteller sich schon sehr früh beschäftigt und auseinandergesetzt hat. Und das auch ganz konkret bei Zeichenstudien vor Ort im Harz wie sein Verleger Gerhard Steidl sehr anschaulich berichtete. Er hatte ihn mitsamt Zeichensachen morgens in den Wald gefahren und später am Tag auch wieder eingesammelt. Die damals entstandenen Bilder waren im letzten Jahr der Ausstellung »Windbruch und Wortbruch – Günter Grass und das Waldsterben« im Günter Grass Archiv. An derselben Stelle werden aktuell unter dem Titel »Was übrig bleibt« bis zum 7. Januar 2024 die Photos von Hans Grunert gezeigt, die auch in dem gleichnamigen, gerade erschienen Bildband einen Überblick über Grass Leben und Arbeiten in seiner Werkstatt geben. Grunert lässt die Gegenstände für sich sprechen und hat sie in geradezu wissenschaftlicher Präzision und Sachlichkeit dokumentiert. 

Um diese Bilder und generell die Dingwelt in Grass‘ Texten drehte sich der dritte Akt des Abends. Die Literaturwissenschaftlerin Lisa Kunze stellte hier sehr profund das Spätwerk vor und beschrieb auch die Gemeinsamkeiten im Umgang mit der Dingwelt im Werk von Hans Christian Andersen, den Grass sehr schätzte. Immer wieder streute Steidl kleine persönliche Erlebnisse aus seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Grass in das Gespräch ein und schilderte so den Literaturnobelpreisträger in seinem Arbeitsalltag und seinem Verhältnis zu den Dingen, die seinen Schaffensprozess begleiteten. „Alles konnte er zum Leben erwecken oder versteinern lassen“ war sein Fazit zu Grass Werk.

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Maria Widemann

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