Willkommen im Kulturportal vom Kulturbüro Göttingen. 

Hier finden Sie Termine und Nachrichten aus dem Kulturleben der Region. Sie können sich einloggen oder neu registrieren, Ihr Abonnement abschließen oder verwalten, in dem Sie auf das Menü rechts klicken. (Die drei kleinen schwarzen Balken.)
Mit einem bezahlten Abonnement haben Sie Zugang zu allen Texten und Funktionen – und unterstützen die Arbeit des Kulturbüros.

Artikel über das Kunsthaus Göttingen

Ein (Selbst-)Gespräch ohne Unterbrechung 

Anna-Lena Markus und Judith Hermann im Literaturhaus Göttingen | © Photo: Prießnitz

Es ist noch nicht lange her, dass der Roman »Daheim« von Judith Hermann erschienen ist. Nun war die Autorin auf Einladung des Literarischen Zentrums erneut in Göttingen. Im Gepäck hatte sie den neuen Band »Wir hätten uns alles gesagt“. Darin geht es über ihre Schreiben – und das Verschweigen. Lukas Prießnitz hat für das Kulturbüro den Abend im Literaturhaus besucht.

Räume. Welche Bedeutung haben sie? Sie umhüllen uns, bieten Platz, sind Teil eines Hauses. In ihnen leben wir, sie sind Wohnplatz, gleichwohl Archiv, ein Raum der Erinnerung und des Wohlfühlens. Gleichzeitig können Räume Orte des Schreckens, der Angst und Unzufriedenheit sein. Sie können gleichsam mystische und unheimliche Orte, aber auch Begegnungsstätten der schönen Erinnerungen sein. Eben jene Räume stellen nicht nur für den Prozess des Schreibens, sondern auch in den Handlungen der Romane von Judith Hermann einen tragenden Baustein dar.  

An diesem Abend ist Judith Hermann mit ihrem neuen Buch Wir hätten uns alles gesagt im literarischen Zentrum. Die Autorin ist dem Göttinger Publikum bereits durch mehrmalige Lesungen bekannt und auch die Moderatorin Anna-Lena Markus ist den Zuhörer:innen nicht fremd. In der Vergangenheit moderierte sie schon mehrere Lesungen, allerdings am heutigen Abend zum ersten Mal als Teil der neuen Doppelspitze des Vorstandes des literarischen Zentrums und somit auch Teil des Literarischen Zentrums. 

Ursprünglich war die Poetikvorlesung rein als Lesung gedacht, erzählt Hermann. Sie wollte den Text zwar vortragen und so mit den Hörer:innen teilen, jedoch wäre der Text selber bei ihr geblieben. Erst in der zweiten von drei Lesungen „entkoppelte“ (wie es die Autorin beschreibt) sich der Text und ging über auf das Publikum.

Hermann schreibt, wie sie selbst offenbart, an ihrem Leben entlang, entblößt sich, dennoch sind die Figuren nur ein Traum. Die Figur ist wie sie in optimierter Form, ist wie sie sein möchte, wie sie war oder sein könnte. Je mehr sie offenbart und von sich preisgibt, desto mehr verschließt sie und versteckt sie sich. Die Zusage für die Poetikvorlesung fiel der Autorin sehr schwer, denn „ich hätte meine Karten zeigen müssen“, beschreibt sie ihre Überlegungen. Sie hätte ihr Vorgehen und ihre Art des Schreibens preisgeben und belichten müssen. Den Zugang, „den Schlüssel“ zur Selbstreflexion hat Judith Hermann in der Psychoanalyse gefunden. Die Struktur der Psychoanalyse wurde auf die Lesung angepasst. Der Psychoanalytiker war ein typischer Freudianer. Es wurde meist nicht auf Fragen geantwortet und wenn doch, dann mit einer Gegenfrage „was fällt ihnen dazu ein?“. Auf diese Frage fiel ihr lediglich das eigene Leben, eigene Erlebnisse ein, wodurch sie sich auch mit ihrer Kindheit befasste, denn ohne Befassung mit der Kindheit und das Reflektieren jener, kann sich nicht mit dem Beginnen des Schreibens befasst werden. 

Eine weitere Besonderheit, neben der eigenen Offenlegung, war die Pandemie. Es war eine Doppelung der Einsamkeit, erklärt Judith Hermann. Der Prozess des Schreibens der Lesung war ein exklusiver Weg, eine Art wie sie wahrscheinlich nicht nochmal schreiben kann, offenbart die Autorin. Wenn sie morgens begonnen hatte zu schreiben, skizziert sie weiter, später etwas aus dem Haus ging, mit sich selbst über das Geschriebene sprach und im Anschluss an das Schreiben selbst überlegte, was sie am nächsten Morgen schreiben möchte war nur aufgrund der Pandemie in jener Art möglich. Es war ein Selbstgespräch ohne Unterbrechung, fasst Anna-Lena Markus die Tage und die besondere Zeit des Schreibens trefflich zusammen.

Die Poetikvorlesung gab nicht nur Anlass sich, mit dem eigenen Schreiben auseinanderzusetzen, sondern war auch eine Retrospektive. In der Vorlesung begegnen den Leser:innen immer wieder Figuren aus früheren Romanen. Für Hermann sind es zwar noch immer ihre Bücher, jedoch haben die Bücher ein Eigenleben entwickelt, sind nun Bücher der Rezipient:innen, verrät die Autorin Judith Hermann. Während ihrer Rekapitulierung der eigenen Werke fiel ihr die scheinbare Obsession mit Häusern und Räumen auf. Rückblickend kann die Autorin ihre Bücher als ein Haus, ein Raum, eine Art Archiv bezeichnen. Zwar ist das Haus, das Buch da, jedoch ist es verschlossen und ihr fehlt der Schlüssel. 

Übereinstimmend mit dem Verlauf des Schreibens von Judith Hermann, stellt auch an diesem Abend ein prägnanter Satz eine Zäsur dar. Die Autorin wird durch einen einzelnen Satz inspiriert und baut Stück für Stück um jenen Satz ihren Roman auf. An diesem Abend hingegen – und so schließt sich der Kreis – stellt ein prägnanter Satz – „…hätte ich gefragt werden wollen? Nein!“ -  das Ende eines sowohl humorvollen, als aufdeckenden und zugleich verschleiernden Beleuchtens ihres Schreibens dar. 

Der Abend hätte in der Konstellation aus Judith Hermann und Anna-Lena Markus noch lange weitergehen können, denn die gute Mixtur aus Lesung, Gespräch und Erklärung, aber auch wohlüberlegter und gut anknüpfender Fragen unterhielt die Zuhörer:innen auf eine anregende Art und erreichte so ein fideles Publikum. 

Keine Kommentare

Lukas Prießnitz

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.