Die Wolken hängen tief an diesem Donnerstagabend. Göttingen gehüllt in ein dickes Grau, schwere Regentropfen poltern durch die Gassen. Es ist kalt, nass. Es ist ein Abend wie geschrieben für die dunkelste der Literatur. Erzählungen von Horror und Schrecken im ThOP.
Es sind nur einige, die sich dem Versprechen von Frühling an diesem dunklen Apriltag vollständig entzogen haben und mit den Klassikern der Horrorliteratur Gänsehaut pur erleben wollen.
Mit dem Klassiker »The Raven« von Edgar Allen Poe wird der Abend eröffnet. Das Licht geht aus, der kaltblaue Scheinwerfer an. Nur René Anders steht im Lichtkegel, die Bühne bleibt frei für die Imagination. Mit Dramatik und Melodie donnert Poes „Nevermore“ über die Lippen Anders‘ durch die knarzenden Emporen. Mit Bravour meistert er das Altenglische und die tief melancholische Stimmung des Gedichts.
Aus Trauer und Hingabe wird mit Jannik Bönsch und Tom Röbers Adaption von H.P. Lovecrafts »Aus dem Jenseits« in den fantastischen Horror eines fanatischen Wissenschaftlers und den Dingen zwischen Himmel und Erde, die besser ungesehen bleiben sollten, die Überfahrt ins Groteske fortgeführt. Besonders Röber in der Leserolle des Wissenschaftlers Tillinghast überzeugt durch seine lebendige Verkörperung der Figur.
Im Gegensatz zu der Fantastik Lovecrafts startet Shirley Jacksons »Die Lotterie« eher prosaisch und langatmig. Kerstin Börst gelingt es aber letztlich durch ihre Intonationen, die Stimmung eines vollgefüllten Marktplatzes auf der Bühne anzubieten. Jacksons Werk eröffnet den Rezipient:innen erst im letzten Moment, worauf die unterschwellig anwachsende Unbehagen und Dramatik hinaus will.
Nach der Pause geht es schonungslos weiter. Franz Kafka hat mit seinem »Ein Landarzt« ein turbulentes, verstörendes und rasch erzähltes Stück Prosa geschaffen. Tobias Schäfer tritt mit einer schwarzen Laterne auf die Bühne und leuchtet dem Publikum damit den Weg durch diesen stürmischen Winter, in dem der Landarzt zu einem ominösen Patienten gerufen wird. Kafkas Kraft, Entsetzen nicht der Fantasie des Publikums zu überlassen, sondern mit jedem pikant gewählten Wort seiner Texte Grauen auszuformulieren, nimmt Schäfer an und realisiert unausweichliche Sprachbilder.
Nach dieser kafkaesken Konfrontation wird es mit Phil Schlöters Performance von Robert Frosts »Die Hexe von Coös« bald schon interaktiv. Mit klangvoller Requisite und raumeinnehmender Körperarbeit lässt Schlöter nicht nur Skelette klappern, sondern transportiert auch die rastlose und labile Lage der Protagonisten.
Der Abend neigt sich dem Ende, das Publikum ist in heimeliger Wohligkeit bereit für das letzte Werk. Als »finale fatale« trägt Andreas Hey einen weiteren Lovecraft auf Englisch vor. Aus dem Erleben von Horror und Schrecken endet der Abend auf der klassischen Vorlesernote und bildet damit einen stilsicheren Abschluss.