Keine rasanten Tänze, dafür aber bewegen sich niedliche Plastikmännchen zu opulenter und dramatischer Musik?! Das Ensemble NeoBarock hat aus der dreistündigen Balletoper »Les Indes galantes« von Jean-Philippe Rameau ein Best of für seine Besetzung arrangiert, um es einem jungen Publikum zu präsentieren. Und was wäre da nicht besser als fantasievolle Playmobil-Figuren, die die Handlung zum Leben erwecken.
Michael Sommer, Schöpfer des Videokanals »Sommers Weltliteratur to go«, hat ordentlich die Puppen tanzen lassen und die Handlung um verliebte Herzen mit seinen Playmobil-Minifiguren nachgestellt. Spannende Liebesgeschichten, Dreiecksbeziehungen und Eifersucht inklusive. »Die musikalische Playmobil-Performance: Die verliebte Welt« ist Teil der »Internationalen Händel-Festspiele« und wurde am 11. Mai in der Sheddachhalle aufgeführt.
Das heimische Gefühl in der Sheddachhalle machte die Aufführung gewiss zu einem angenehmen und besonderen Erlebnis für die kleinen Zuschauer:innen. Aber auch die Eltern und Liebhaber von Opernmusik kamen voll auf ihre Kosten. Denn das NeoBarock machte natürlich keine halben Sachen: Mit schwungvollen Melodien und schwärmerischen Akkorden entführte das Ensemble in die „verliebte Welt“ und schuf eine richtig festliche Stimmung in der Sheddachhalle. Die gefühlvollen und schnellen Klänge von Maren Ries Violine wechselten sich ab mit Yat Ho Tsangs schöner und träumerischen Flötenmelodie im „Prolog-Abschnitt“. Auch Lino Mendoza überzeugte bereits, als er das Violinenthema mit seiner äußerst dunkel-klingender Violone imitierte.
Auf einen Musikabschnitt folgte stets eine Szene beziehungsweise ein Akt in Playmobil-Format. Eine sehr kreative Idee: Anstelle von Operngesang wurde die Handlung mit den narrativen Playmobil-Videos vorangetrieben. „KNUTSCH!“ Wie von Michael Sommer gewohnt, erzählte er die Handlung mit passenden Figuren sowie ansprechenden Hintergründen und paarte dies mit einer großen Portion Humor. Somit war die Handlung auch für Kinder leicht verständlich. In vier in sich abgeschlossenen Akten inklusive Prolog führt uns »Les Indes galantes« (Das galante Indien) in ferne Länder, allerdings nicht nach Indien, sondern in die Türkei, nach Peru, Persien und Nordamerika. Die Göttin der Jugend Hebe bittet Amor und seine Amoretten in diese Länder auszuschwärmen, „um die Herzen zu ersetzen, die euch Bellone raubte.“
Nachdem Hebe die Amoretten in die Türkei entsendet, folgt die Reise in das Land in musikalischer Form. Zuerst spielen die Gamben ein sehr tiefes und düsteres Thema, das wohl die Hürden der Reise darstellt. Anschließend setzt das schnelle und freudig klingende Cembalo, gespielt von Stanislav Gres, ein und bildet einen Kontrast zum düsteren Gamben-Thema. Auch Yat Ho Tsang bestärkt die heiter-werdende Stimmung mit seinem virtuosen und frohlockenden Flötensolo: Mit einem unbekümmerten und ausgelassenen Ausdruck pustet, überbläst er und schnalzt munter mit der Zunge. Die besondere Instrumentation, Nazar Kozhukhar - Viola da Gamba, Lino Mendoza- Violone, Yamato Hasumi – Theorbe und Stanislav Gres am Cembalo, schuf ein wahrlich einzigartiges Klangerlebnis. Mal bekommt man Assoziationen von einem mittelalterlichen Fest, mal denkt man an einen irischen Volkstanz durch die Travers- und Blockflöte. Der Zauber von Rameaus Musik und der Interpretation vom NeoBarock ist, dass sie nicht direkt für ein bestimmtes Land in der Oper steht, sondern weltübergreifend und kosmopolitisch wirkt.
Die Übergänge von Sommers Text zur Musik waren außerdem immer sehr stimmig und sorgten für viel Spannung beim jungen Publikum. „Wird Osman seine Angebetete erobern?“ „Wird Don Carlos seine Geliebte Phani vor dem Vulkanausbruch retten?“ „Und kommt es zu einem Blutbad bei den Indianern und Europäern?“ Nach diesen „Cliffhangern“ spielte Maren Ries entweder sehr laut, schrill und abgehakt auf ihrer Geige oder ein leises hektisches Thema und unterstrich damit hervorragend diese dramatischen Szenen. Einfach Spannung pur! Auch der Einsatz einer Gewittertrommel erzeugte Donnergroll-Geräusche, bei welchen man sofort aufschreckte. Auch dies akzentuierte die bedrohliche Stimmung enorm!
Natürlich präsentierte das NeoBarock-Ensemble auch wunderschöne Themen: Nachdem der herrische Pascha Osman seine einseitige Liebe zu Emilie aufgibt und diese endlich mit ihrem geliebten Valère vereint ist, spielt das Ensemble, besonders getragen von der Violine und der Flöte, sehr schnelle, heitere und schwungvolle Melodien, die an einen irischen Volkstanz erinnern. Besonders beim Finale konnte Maren Ries nochmal ihr ganzes Können unter Beweis stellen: Die Konflikte sind beigelegt. Das Indianerdorf in Nordamerika ist nun ein Hort der Liebe für alle. Also ein Grund zu feiern! Nachdem Tsang mit schönen angenehmen Tönen in das Finale einleitet, streicht Ries blitzschnell und wie wild über die Saiten und erzeugt zum Abschluss nochmals eine aufregende, feierliche Atmosphäre in der Sheddachhalle.
Das NeoBarock hat einen fabelhaften Auftritt hingelegt und bildete mit Michael Sommers Playmobil-Video eine nahezu perfekte Symbiose. Der Text und die Musik gingen nahtlos ineinander über. Durch die Videos wusste man auf komische und originelle Weise stets, in welchem Ort man sich jetzt befindet. Durch die Musik wurde unmissverständlich die Atmosphäre und Gefühle der Charaktere transportiert. Dies war somit auch einer der großen Stärken der musikalischen Playmobil-Performance: Das Ensemble drückte eindeutige Emotionen mit seiner Musik aus. „Das ist uns sehr wichtig, damit die Kinder alles verstehen,“ erzählt Geigerin Maren Ries. Die Verknüpfung von klassischer Opernmusik mit Playmobil für Kinder ist ein sehr kreatives Konzept, welches voll aufging: Nach der Aufführung gingen alle kleinen Zuschauer:innen auf die Bühne, um die interessanten Instrumente zu bestaunen und mehr darüber zu erfahren. Also, NeoBarock: Mission erfüllt!