Dieses Instrument haben Sie bestimmt noch nicht so oft zu hören bekommen: Ein italienisches Hackbrett aus der Barockzeit?! Was sich zunächst an ein grobes Metzgerutensil anhört, ist aber gewiss alles andere als grob. Musiker und Musikfans wissen aber schon, dass es sich bei dem Hackbrett um eine Kastenzither handelt, deren Saiten mit Klöppeln angeschlagen werden. Der Vorläufer des Hackbretts ist das Salterio. Ein elegantes Instrument für eine elegantere Zeit. Mittlerweise ist das Salterio leider in Vergessenheit geraten. Umso schöner, dass die Musikerin und Forscherin Dr. Franziska Fleischanderl dem barocken Instrument neues Leben einhaucht.
Mit zarten Klängen und besonderen Spielweisen auf ihrem Salterio beehrte das Ausnahmetalent Fleischanderl Bremers Weinkellerei am Wall. Nach jedem Lied wurden dazu Texte zur Philosophie der Musik vorgelesen von Moritz Schulze, bekannt aus dem DT-Stück »Der große Gatsby«. Diese Texte umschrieben die Wirkung von Musik auf uns und gaben dem Auftritt noch eine gewisse Würze durch Schulzes lebendiger Vortragsweise. Und was darf bei dieser wundervollen Kombination aus Lesung und Musik nicht fehlen? Natürlich ein schönes Glas vom „Händelwein“, welcher durch seinen leichten, trockenen und unkomplizierten Charakter inspiriert, zum Sinnieren anregt und damit das Klangerlebnis noch intensiver werden lässt. »Lesung, Wein & Musik« fand im Rahmen der Internationalen Händel-Festspiele am 13. Mai statt.
Franziska Fleischanderl spielt auf einem originalen Salterio, welches 1725 von Michele Barbi in Rom gebaut wurde. Sie beherrscht das Instrument nicht nur wie keine andere, sondern hat es auch jahrelang erforscht und eine Doktorarbeit über dessen Spieltechniken verfasst. Deshalb ist sie nun weltweit die erste Musikerin, die das Salterio in all seinen Spielweisen erklingen lässt – entweder spielt sie auf dem Instrument mit Hämmerchen, oder sie zupft die Saiten mit Fingern und Federkiel-Plektren.
Durch diese drei unterschiedlichen Spieltechniken zaubert sie ein großes Klangspektrum hervor. Im ersten Stück „Sinfonia da Salterio“ von Florido Ubaldi (1708-1746) zupft sie die Saiten. Diese Technik ist auch als Finger-Pizzicato bekannt. Anmutig und elegant zupft sie die Saiten und entführt die Zuhörer in eine sinnliche Traumwelt zarter Klänge. Diese Klänge erinnern dabei stark an die einer schönen Harfe. Nichtsdestotrotz unterscheidet sich durch das Zupfen die Klangfarbe enorm. Beim Finger-Pizzicato-Spiel hören sich die Melodien leicht dunkel an. Beim Plektren-Pizzicato, demonstriert in „Fandango für Salterio“ (Oviedo, 18th c.) und „Spanische Tänze für Salterio“ (Oviedo, Madrid 18th c.), ist der Klang heller. Bei diesen Stücken spielte Fleischanderl sehr schnelle, laute und schwungvolle Melodien, strich auf einmal sogar über alle Saiten herunter, und schuf damit eine wahrlich festliche Stimmung im intimen Kreis.
Auch beim battuto-Spiel mit den Hämmerchen ändert sich nochmals das Klangerlebnis. Benutzt sie ihre Holzhämmerchen, erklingt das Salterio wie ein Cembalo. Wenn man die Augen geschlossen hat und Fleischanderl mit ihren lederbezogenen Schlägeln spielte, fühlte es sich beinahe so an, als höre man ein Forte Piano. Bei Stücken aus Klosterfrau Maria Costantina Voglerins Salteriobuch stellte sie das Volumen des barocken Instruments ebenfalls unter Beweis. Mit ihren Hämmerchen spielte sie blitzschnell entzückende Tonfolgen, die zugleich auch aufregend waren. Die lauten freudigen Melodien überwältigten die Zuschauer beinahe schon und füllten den gesamten Raum.
Bei all den unterschiedlichen Klangfarben darf aber auch nicht Moritz Schulzes Lesung außer Acht gelassen werde. Sehr lebhaft, stürmisch und leidenschaftlich stellt er die Fragen in den Raum, was Musik eigentlich ist, was sie mit uns macht und wie sie sich entwickelt. Dabei liest er mit viel Elan ausgewählte Texte von Ernst Bloch, Charles Baudelaire und Rainer Maria Rilke vor, welche von dem Chefdramaturg des Deutschen Theaters Matthias Heid passend zusammengestellt wurden. Nach Fleischanderls erstem Stück, „Sinfonia da Salterio“, erzählt Schulze abenteuerlich mit den Worten von Charles Baudelaire, wie ihn „die Musik packt wie ein Meer, das ihn durchtönt.“ Dieses Gefühl hatten sicherlich auch viele der Zuschauerinnen und Zuschauer, die durch den Händelwein vollkommen in den Sog des Salterios gezogen wurden. Daraufhin erforscht Schulze, wie sich Musik weiter aufgebaut hat über verschiedene Epochen, wie sie schließlich individuell wurde und sich folglich mehrere Gattungen und Stimmlagen herausbildeten. Leider ist der Text, besonders der von Ernst Bloch, nach der Pause etwas langatmig geraten. Selbst Schulze musste sich durchkämpfen, meisterte dies aber mit Bravour. Nichtsdestotrotz versprühte Schulzes Lesung ein gewisses Flair. Der vorgelesene Text schuf eine geheimnisvolle, transzendente Atmosphäre, die wirklich zum Nachdenken anregte und damit Musik und Wein richtig gut vervollständigte.
Auch in diesem Jahr bot Bremers Weinkellerei am Wall mit »Lesung, Wein & Musik« ein außergewöhnlich gutes Fest für die Ohren. Mit ihren verschiedenen Spieltechniken erzeugte Franziska Fleischanderl ein richtiges Klangfarbenspektakel und bewies, dass sie eine wahre Koryphäe des Salterios ist. Eine fast verloren geglaubte Perle der Barockmusik neu zu entdecken und in voller Pracht zu hören, war einfach ein besonderes Erlebnis. Auch die sehr lebhafte und aufregende Lesung von Moritz Schulze wusste zu überzeugen und machte das Event zu einem runden Gesamtpaket.