Was macht einen Klassiker zeitlos? Vielleicht ist es die universelle Gültigkeit seiner Themen, die tiefgehenden Charaktere oder die Art, wie er immer wieder neu interpretiert werden kann. Jane Austens »Stolz und Vorurteil« ist ein solches Werk. Seit über 200 Jahren fasziniert die Geschichte von Elizabeth Bennet und Mr. Darcy durch ihre scharfsinnige Gesellschaftskritik und die kraftvolle Darstellung einer Frau, die sich gegen gesellschaftliche Erwartungen stellt. In einer Zeit, in der Frauen kaum Rechte hatten und eine hohe gesellschaftliche Stellung ohne Heirat undenkbar war, zeichnet sich Austens Heldin Elizabeth durch bemerkenswerte Unabhängigkeit und Selbstbestimmung aus. Das Junge Theater wagt mit der Komödie von Isobel McArthur’s »Stolz und Vorurteil* (*oder so)« unter der Regie von Christine Hofer, eine neue, humorvolle und vor allem feministische Neuinterpretation des Klassikers.
Ein Schritt in die Vergangenheit
Am Premierentag, dem 14. März, nimmt das Dienstpersonal des Hauses Bennett das Publikum mit auf die Reise ins 18. Jahrhundert. Sie fungieren jedoch nicht nur als Begleiterinnen der Familie, sondern auch als Erzählerinnen der Geschichte. Doch nicht nur das, vielmehr schlüpfen sie auch in die Rollen der Hauptfiguren. Denn an diesem Abend stehen nur fünf Schauspielerinnen – namentlich Malin Kraft, Thyra Ude, Rebekka Bauer, Ronja Politz und Agnes Giese - auf der Bühne. Die rein weibliche Besetzung fügt der Inszenierung eine subtile, aber wirkungsvolle Dimension hinzu, die das Bild der klassischen Rollenverteilung auf interessante Weise aufbricht und humoristische Kostümwechsel verspricht.
Die Geschichte bleibt: Perspektiven ändern sich
Erzählt wird – wie im Klassiker auch – die Geschichte der Bennett Familie, insbesondere der fünf Schwestern, die möglichst alle lukrativ verheiratet werden sollen. Für ihre Mutter, Mrs. Bennett, ist das kein leichtes Unterfangen, schließlich sind ihre Töchter sehr unterschiedlich, noch dazu eigensinnig. Auch Mr. Bennett stellt sich als keine große Hilfe dar, er bleibt stumm und wird nur durch einen Zylinder dargestellt – eine ironische Entscheidung, passend zum Konzept des Stückes, in dem es vor allem um Frauen gehen soll. Als die älteste Tochter Jane den liebenswürdigen Mr. Bingley kennen und lieben lernt, scheint zumindest eine der Bennett Töchter bald verheiratet zu sein: wäre da nicht noch Mr. Darcy, der seinem guten Freund Charles Bingley den ein oder anderen falschen Rat erteilt und selbst ein Auge auf die zweitälteste Bennett Tochter, Elizabeth geworfen hat.
Ein Schauspiel voller Wandel
Gespielt wird Mr. Fitzwilliam Darcy von Thyra Ude, die das stolze Auftreten der Rolle mit authentischer Arroganz perfektioniert hat. Blitzschnell kann sie jedoch auch den Charakter der hektischen und quirligen Mrs. Bennett annehmen. Die stetigen Rollenwechsel stellen eine besondere Herausforderung dar, werden jedoch gekonnt gemeistert – mal durch den Wechsel eines ganzen Kostüms, mal durch das Hinzufügen eines einzigen Accessoires, was die Dynamik der Aufführung noch verstärkt. Die Vielseitigkeit der Schauspielerinnen kommt dadurch besonders zum Vorschein. Hier ist vor allem Ronja Politz hervorzuheben, die gleich fünf Rollen überzeugend übernommen hat.
Musikalische Untermalung als feministische Verstärkung
Begleitet wird das Stück immer wieder musikalisch von Bass (Sebastian Strzys) und Gitarre (Marius Prill), wobei auch gesangliche Einlagen ein essenzieller Bestandteil sind. Mit Liedern wie »You Don’t Own Me« gleich zu Beginn, wird direkt der Tenor des Stückes deutlich, aber auch »Will You Still Love Me Tomorrow« oder auch »Heroes« unterstreichen die Selbstbestimmung der Figuren und tragen zur feministisch geprägten Atmosphäre bei.
Die Inszenierung setzt stark auf Überzeichnung und humorvolle Brechung der Originalgeschichte. Figuren werden bewusst überspitzt dargestellt, der Humor ist laut, plakativ und oft sehr direkt. Dies sorgt zum einen für ein energiegeladenes und unterhaltsames Theatererlebnis, kann jedoch auch stark polarisieren.
Übertreibung oder Weiterentwicklung?
»Stolz und Vorurteil« gilt bereits als ein Werk mit ersten feministischen Untertönen – Elizabeth Bennet zeichnet sich durch Intelligenz, Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit aus. Die Göttinger Fassung legt den Schwerpunkt jedoch auf eine sehr direkte, parodierende Darstellung, die für Fans der Vorlage gewöhnungsbedürftig sein könnte. Ob diese moderne Interpretation überzeugt, hängt letztlich vom persönlichen Zugang ab. Das Publikum der Premiere nahm die Inszenierung begeistert auf und belohnte sie mit stehenden Ovationen. Wer eine modernisierte und humorvolle Adaption des Klassikers sucht, wird hier sicher auf seine Kosten kommen. Wer jedoch die feine Ironie und subtile Gesellschaftskritik von Austens Roman schätzt, könnte sich an der lauten und überdrehten Umsetzung stören.