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Junges Theater

Eine couragierte Frau mit Geschäftssinn

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Premiere von »Beate – Das Uhsical«
von Tina Fibiger, erschienen am 16. Mai 2023
Fabienne Elisabeth Baumann | © Photo: Dorothea Heise

In Flensburg eröffnete Beate Uhse ihren ersten Sexshop, Das Skandal hielt noch lange Jahre an, auch der juristische Aufruhr, während die couragierte Unternehmerin bereits die sexuelle Revolution im Blick hatte und auch forcierte. Die sollte sich als äußerst profitabel erweisen. Peter Schanz hat ihre Biografie mit einer Chronik durch die Nachkriegs- und die Wirtschaftswunderjahre mit musikalischen Stimmungsbildern verwebt, die schließlich in das Motto „Sex sells“ mündete. Kombiniert mit pointierten, ironischen und komödiantischen Anmerkungen und Requisiten inszenierte Tobias Sosinka am Jungen Theater »Beate – Das Uhsical«.

Die Frau, deren Broschüre über Verhütung, Geburtenkontrolle und ein befriedigendes Sexualleben in den Nachkriegsjahren zunächst im ländlichen Schleswig-Holstein kursierte, lässt bereits die selbstbewusst argumentierende Geschäftsfrau ahnen, die später ein börsendotiertes Unternehmen leiten würde. Fabienne Elisabeth Baumann demonstriert eine Überlebenskämpferin, die als ehemalige NS-Pilotin in Kriegsgefangenschaft gerät, dann ihrem armseligen Flüchtlingsdasein trotzt und dem gehässigen Widerstand der Dorfbewohner, die niemand durchfüttern wollen. So wie es aufwärts geht mit Beate Uhse und ihrer so genannten »Schrift X«, holt auch die Nachkriegsgesellschaft wieder Schwung in der Wirtschaftswunder-Ära. Jetzt muss auch nicht mehr Zarah Leanders »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen« die Stimmung musikalisch beflügeln Es ist die schmachtende Schlagerwelt in den Arrangements von Steffen Ramswig, der am Flügel mit Herz und Schmerz Melodien romantisch aufmuntert, bestärkt von Bernd Nawothnig an den Drums und Bassist Sebastian Strzys. Dann wird die Liebe als seltsames Spiel besungen und mit einem beschwingenden »Tiritomba«, nach dem sich auch der Liebeskummer nicht mehr lohnt.

In kurzweiligen Szenen hält das JT-Team mit Agnes Giese, Malin Kraft, Jan Reinartz, Dorothea Röger und Jens Tramsen auf die Love-and-Peace-Dekade zu. Michael Johannes Meyer moderiert und kommentiert die Episoden, die eine Collage von Zeitstimmen und Stimmungen bilden, während der »Versandhandel für Ehehygiene« boomt. Die Kundschaft tarnt sich noch verschämt, wenn sie den nicht nur illustrativen Band über »Sexuelle Technik in Wort und Bild« erwerben möchte. Bei Familie Mustermann am manierlich gedeckten Küchentisch geht es weiterhin streng schamhaft zu, es sei denn, die heimliche Post des Hausherrn wird enttarnt und dann auch unterhaltsam in Szene gesetzt. Als Demonstrationspaar in Bodysuits vergnügen Agnes Giese und Jan Reinartz das Publikum einmal mehr, wie sie sexuelle Techniken mit viel gymnastischem Know-how illustrieren, nachdem ein Hippie-Chor mit Joints und Demo-Tafeln für die freie Liebe aufmarschiert war. Bei der Premiere des Beate Uhse „Uhsicals“ ist die Babyboomer Generation offensichtlich in der Mehrheit, die mit den peinigenden Moralvorstellungen vertraut ist, wie sie noch über die 60er Jahre hinaus herrschten. Sie genießt die Form der komödiantischen Demontage, selbst wenn sie manchmal auch ein bisschen plakativ ausfällt.

Eine Revue kritischer Stimmen färbt das unterhaltsame „Uhsical“ im zweiten Teil des Abends ein. Mit den Schlammschachten, wie sie die BILD-Zeitung der Marktführerin auf dem Erotikmarkt zumutete und auch mit der Prozesslawine, die Beate Uhses Biografie prägte, bis der so genannte Unzucht Paragraf 184 modifiziert wurde und Pornographie als Handelsware mit Auflagen versehen für den Markt freigegeben wurde. In kurzen Szenen werden die „Por-NO“ Proteste thematisiert. der Widerstand der Feministinnen gegen die frauenfeindlichen Marktstrategien unter dem Motto „sex sells“. Kontrastiert werden diese Stimmen mit den Argumenten der Unternehmerin, die sich als Frau, Mutter, Geschäftsfrau und Ratgeberin positioniert, die jede Briefanfrage beantwortet. Beate Uhse wusste die Aids-Epidemie mit ihren Kondomofferten ebenso erfolgreich zu vermarkten wie die Wende mit ihren Erotikbestsellern. Sie hatte aller kritischen Stimmen zum Trotz auch kein Problem, sich an den vorwiegend männlichen Kundenwünschen zu orientieren, wie sie musikalisch mit James Browns Soulhymne »It’s a Man‘s Man‘s Man‘s World« kommentieren werden und mit Herbert Grönemeyers »Männer«-Votum.  

Der Abend wagt viel, was die moralinsaure Nachkriegsgeschichte angeht, die Erfolgsbiografie Beate Uhses und die gesellschaftlichen Stimmungslagen, die in der musikalisch szenischen Chronik angesprochen werden. Die Überfülle an zeitdokumentarischen Details sprengt gelegentlich das Revueformat, so dass Tobias Sosinka manche Szenen auf  unterhaltsam frechen Spots reduziert, um Raum für ironische Pointen zu schaffen, die in Peter Schanzes Szenario ebenfalls lauern. Natürlich tritt die börsennotierte Flensburger Ehrenbürgerin nicht einfach so ab. Sie versteht sich auch auf himmlische Geschäfte mit frustrierten Engeln, die mit Händels »Hallelujah« beschallt werden, während sich das irdische Demonstrationspaar zum Finale eine entspannte Auszeit gönnt; ohne Orgasmusquote und gymnastische Höchstleistungen im Dienste der Libido und umso lieber mit dem Beatles Aufruf »All You Need Is Love«.

Die Musikalische Revue von Peter Schanz »Beate – Das Uhsical« hatte in der Inszenierung von Tobias Sosinka am 12. Mai 2023 Premiere am Jungen Theater Göttingen. Weitere Vorstellungen stehen am 19. Mai sowie am 10., 15. und 24. Juni 2023 auf dem Spielplan.

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Tina Fibiger

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